Teil 13 "Gedankenspuren: Schule, Narzissmus und der Mann, der sich endlich mal entscheiden sollte“
Ich kam aus der Dusche, das Wasser hatte die letzten Reste des Alptraums weggewaschen. Die Wetterhexe war wieder dahin zurückgekehrt, wo sie hingehörte: ins Archiv meiner Fehler.
Ich trocknete mich ab, stellte mich ans Fenster und dachte über etwas nach, das mich wie ein Ohrwurm in die Denkmurmel gebohrt hatte:
Was, wenn ich einfach raus ginge, aussteigen würde?
Einmal komplett. Alles hinwerfen. Deutschland abmoderieren wie eine schlechte Dating-Show, die längst hätte abgesetzt werden sollen.
Ich hatte Geld gespart. Nicht viel, aber genug für einen Anfang. Ich hätte sagen können: Schluss jetzt. Ich muss hier raus, bevor ich ein seelischer Schimmelpilz werde.
Ich hätte nach Pattaya fliegen können, Tochter eingepackt, Bürojob gekündigt, System hinter mir gelassen. Frischluftkur für ein Leben in Verwaltungsstarre.
Aber wie das so ist mit Gedanken, sie kommen nicht allein. Sie bringen ihre Freunde mit. Und einer dieser Freunde heißt: Realität.
Denn was, bitte sehr, sollte ich hier arbeiten? Wo genau verdient man in Pattaya legal Geld, wenn man keine Bar betreibt, keine Kokosnüsse schält oder russischen Bitcoin-Witwen Speed-Dating verkauft?
(@OnkelToto : bitte vergib mir aber bei dem Thema kann ich nicht anders... aber trotzdem ich Bitcoin Jünger für irre halte, kann ich Dich gut leiden - Irrer!)
Genau. Nirgendwo.
Und selbst wenn ich einen Job fände, bei dem ich kein Visum bräuchte, keine Gesetze verletzte und dabei nicht auch noch rosa Poloshirts tragen müsste: Ich würde vermutlich ein Zehntel dessen verdienen, was ich in Deutschland verdiene, indem ich – Achtung, festhalten – arbeite. Am Schreibtisch. Mit Menschen. In einem Land, wo meine Steuer-ID nicht aussieht wie ein Scherzartikel.
Also dachte ich weiter – und ließ den Fluchtplan mal kurz in die Warteschleife.
Ich wollte aber trotzdem etwas anschauen. Eine Schule. Die französischsprachige Schule von Pattaya. Irgendwie hatte ich davon gelesen. Oder gehört. Oder sie mir in einem Zustand zwischen Hoffnung und Hitzehalluzination eingebildet.
Wie auch immer – sie existierte. Und sie sah gut aus. Modern. Weltoffen. Kein verbeultes Blechcontainer-Klassenzimmer mit Deckenventilator aus dem Jahr 1867, sondern wirklich: eine Option. Mit französischem Unterricht und Schullehrstoff auf hohem Niveau, , kleine Klassen, engagierte Lehrkräfte, Kinder mit Helmen in der Sonne, Eltern mit Falten vom Denken und nicht vom Trinken.
Und plötzlich… da war dieser Gedanke wieder.
Warum eigentlich nicht?
Und dann kam die zweite Welle der Ehrlichkeit. Die unangenehme.
Warum hatte ich eigentlich nicht schon viel früher der Wetterhexe die Tür gezeigt?
Warum dieser ewig dauernde Steh-Blues in einem toxischen Beziehungskeller, bei dem selbst ein Zombiekater irgendwann gesagt hätte: Brudi, du musst da raus.?
Antwort: Feigheit.
Nicht die Feigheit vor ihr – sondern vor dem Danach.
Weil ich Angst hatte, keine mehr zu bekommen. Ja, ich. Der Typ mit dem an sich völlig okayen Gesicht, dem brauchbaren Humor und der Fähigkeit, drei Sätze grammatikalisch korrekt zu Ende zu bringen. Ich hatte das alles verdrängt – unter der seelischen Teppichfliese vergraben, die sie mir täglich vor die Nase gelegt hatte mit Sätzen wie:
„Du bist halt so. Nicht sehr… attraktiv. Aber du meinst es ja gut.“
Und ich Idiot? Ich hab’s geglaubt. Aus Bequemlichkeit. Aus… tja… Losertum mit Bildungshintergrund.
Und genau das, meine Freunde, sollte sich jetzt ändern.
Ich beschloss, den Gedanken an Veränderung nicht zu beerdigen, sondern ihm ein Zelt zu geben. Kein Palast, kein Tempel – aber ein kleines stabiles Zelt, in dem er wohnen konnte, bis ich wusste, wohin damit.
Ich wollte keine Kurzschlussaktion mehr. Kein Heldenpathos. Keine tropische Midlife-Krise mit Palmenfilter.
Aber: Ich wollte nicht mehr der Typ sein, der alles aushält, nur weil es einfacher ist, sich biegen zu lassen, als endlich gerade zu stehen.
Und damit war klar:
Die Entscheidung wird nicht gestrichen. Nur vertagt und erst einmal modifiziert.
Denn die Menschen, die ich liebe – meine Tochter und meine Mutter und etliche wirklich gute Freunde und zudem eine wunderbare Schwester, die eigentlich mein erstes Kind war (sie ist 14 Jahre jünger), verdienen es von mir Haltung geliefert zu bekommen und keinen Eiertanz.
Richtig! Nochmal: Sie verdienen meine Haltung.
Ich musste mich stellen. Nicht irgendwann. Sondern bald. Nicht laut. Sondern klar.
Ich zog mich an. Ich trank einen letzten Schluck Tee. Ich nahm meine Tasche. Und ich machte mich auf den Weg zur Schule.
Vielleicht war sie keine Antwort. Aber sie war ein Anfang.
Ich weiß, was du jetzt denkst, lieber Leser (ein Teil von euch).
Du sitzt da – irgendwo in Jomtien, vielleicht mit Chang-Bier und leiser AC – und willst mir durch den Bildschirm zurufen:
„Klimbim, Alter. Mach’s doch einfach. Pack die Tochter ein, nimm die Frau, zieh nach Thailand. Was hält dich? Büro? Bausparvertrag? Bahncard 100? Mach doch einfach!“
Und ich verstehe dich. Wirklich. Ich verstehe jeden einzelnen Mann, der irgendwann dachte: Es reicht. Ich hau jetzt ab.
Aber weißt du was? Ich bin euch gar nicht böse. Nicht im Geringsten.
Weil ich euch sehe.
Ich sehe euch, wie ihr irgendwann in einer Wohnung in Deutschland gesessen habt, mit Zahnarztrechnung auf dem Tisch, einer Frau, die „Wir müssen reden“ sagt, bevor man den Mund aufmacht, und einem inneren Funkloch zwischen dem, was mal Liebe war, und dem, was jetzt Alltag ist.
Ich sehe euch mit euren stillen Träumen von Palmen, Reisfeldern, Frauen, die lächeln ohne Ironie, und Menschen, die nicht bei jeder Diskussion ein PDF als Beweis brauchen.
Und wisst ihr was? Ich hatte diese Träume auch. Ich habe sie noch.
Aber.
Es ist ein Unterschied zwischen Träumen und Davonlaufen. Und irgendwann – und dieser Satz ist kein Urteil, sondern ein Angebot –
irgendwann musst du stehenbleiben.
Weil der neue Ort dich nicht repariert, wenn du selbst dein Werkzeug nicht in der Hand hast.
Weil keine Bar auf dieser Welt dir Respekt zurückgeben kann, den du dir selbst verweigert hast.
Weil kein Lächeln von außen das heilt, was du innen meidest.
Ich wollte mich der Verantwortung stellen. Nicht aus Pflicht. Sondern aus Liebe.
Denn die Menschen, die ich liebe – meine Tochter, meine alte Mutter mit den Glitzersneakers – sie haben es verdient, dass ich nicht flüchte.
(Und meine Berliner Curry-Wurst aus den Philippinen, meine Teresa... sie verdient es noch 1000x mehr allerdings gab es sie damals in meinem Leben noch nicht. Im Anschluss an diesen Teil bereite ich einen knappen Exkurs vor und berichte euch dort, wie die Curry Wurst nach Berlin kam, meine Teresa - um dann wieder in Pattaya anzuknüpfen. Der Ganze Strang ist mir halt mehr als "Pattaya, wie bist du geil - Geschreibe"...es ist eine positive Abrechnung, ja, eine Abrechnung mit Happy End - das gibt es und jeder Mensch mit einem echten Herz verdient das!)
... ich verdiene es mir selbst nicht zu flüchten, sondern zu gestalten.
Nicht irgendwann. Nicht vielleicht. Sondern – bald, jetzt, dauernd.
Ich weiß, es klingt nicht sexy. Es klingt nicht wie ein YouTube-Video mit Titel „How I escaped the Matrix and now live in Thailand with 3 girlfriends and a pool“.
Aber es klingt ehrlich. Und das war ein Ton, den ich lange vermisst hatte in meinem Leben.
Also, lieber Abhauer – wenn du das hier liest und dich ertappt fühlst:
Keine Sorge. Ich hab dich nicht erwischt. Ich hab dich nur erkannt.
Mach, was du tun musst. Aber vielleicht – nur vielleicht – stell dir vorher die Frage: Wovor lauf ich eigentlich davon?
Dein Weg, er sollte dir gehören. Nicht deinem Reflex.
Und nun? Nun wollte ich damals auf: zu einer Schule, einer, in die ich mal ging und in den 80gern meine Schulzeit hatte... mit den hübschen frechen jungen Mädchen, die ich nicht vergessen werde, meinen strengen Lehrern, dem französischen elitären Anspruch auf Bildung (Deutschland, was ist aus Dir geworden...)
... auf geht`s
Lio - Amoureux Solitaires (Clip Officiel)
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