Grüße in die Runde,
eigentlich betrachte ich dieses Forum eher als Chance zum Wissensaustausch – gelegentlich schmunzelnd, oft nachdenklich, manchmal auch nur mit einem gewissen Erstaunen darüber, wie unterschiedlich Perspektiven auf ein und dasselbe Land sein können. Aber irgendwann kommt der Punkt, da will man selbst mal erzählen. Vielleicht, weil etwas zu lange in einem rumort. Vielleicht auch, weil man hofft, irgendjemand erkennt sich in den Zeilen wieder – und fühlt sich ein bisschen weniger allein.
Also, zurück in den Dezember 2010. Berlin war ein Eisschrank (ich glaube es waren - 10 C, kein Witz!), draußen Schneesturm und Sibirien, drinnen mein Kopf ein Chaos. Der Schnee schien das Leben zu ersticken, und ich fragte mich: War’s das jetzt? Ich hatte keine Lust mehr auf Streit, Misstrauen, Kämpfe, bei denen man nicht mal mehr weiß, worum es ursprünglich ging.
Die Trennung von der Mutter meiner Tochter war toxisch. Das Wort ist inflationär, aber in dem Fall treffend. Sie wurde laut, aggressiv, handgreiflich – und drehte danach die Geschichte um, als wäre sie die Regisseurin eines schlecht geschriebenen Dramas. Und ich der Bösewicht. Nur dass ich keinen Text bekam. Ich stand daneben und hörte dabei zu, wie meine Rolle neu geschrieben wurde. Der einzige Mensch, der sich nicht beirren ließ, war meine Tochter. Damals fünf. Sie sagte einfach, was war. Unverstellt. Ohne Agenda. Damit rettete sie mich – innerlich zumindest. Meine Wegweisung und der ganze Erkennungsdienstliche Nachgang waren indes nicht vergessen. Ja, ich wurde rehabilitiert - offiziell.
Aber draußen? Die Nachbarn schwiegen nicht. Die Blicke sagten mehr als Worte. Die Gerüchte sowieso. Ich verlor meinen Job. Der Chef war nicht herzlos, aber auch nicht bereit, mitzuziehen auf meinem sinkenden Schiff. Und ich verstand ihn. Wer will schon jemanden im Team, der morgens mehr mit innerem Zittern kämpft als mit der Arbeit selbst?
Dann kam der Körper. Divertikulitis. Komplikationen. Not-OP. Darmriss. Schmerzen, bei denen man merkt, dass der Mensch nicht nur aus Gedanken besteht. Und ich? Ich rauchte weiter – zwei Schachteln am Tag, als wollte ich meinem Immunsystem zeigen, dass es wirklich keine Chance hat.
Ich zog um. Neuer Kiez, neues Umfeld, neuer Versuch. Ich hatte ein bisschen Geld auf der Seite – nicht extrem viel, aber deutlich genug für ein paar Wochen Freiheit. Bewerbungen liefen, sogar recht vielversprechend. Aber ich merkte: Bevor ich mich neu sortieren kann, muss ich erst einmal… weg. Und zwar wirklich weg. Kein Spaziergang. Kein Wochenendseminar. Weg von allem, was mich erinnerte, wütend machte, auslaugte.
Und dann kam der Gedanke: Pattaya.
Nicht aus Abenteuerlust. Nicht, weil ich das Klischee gesucht hätte. Sondern weil dieser Ort in der Vorstellung der braven, bildungsnahen Gesellschaft so etwas wie der tiefste Punkt der Männlichkeit ist. Dort, wo nur noch Triebe regieren und Anstand Urlaub macht. So wurde es mir zumindest beigebracht. Ein interessantes Experiment meinte ich damals.
Und genau das reizte mich: Dort hinzugehen. Nicht, um mich zu verlieren – sondern um mich zu entziehen. Der ständigen Bewertung. Der Schuld. Der Rechtfertigung. Ich wollte irgendwo sitzen, ein Pad Thai essen, meine Ruhe haben. Einen Drink am Strand. Vielleicht eine Massage, bei der keiner fragt, was ich beruflich mache oder warum mein Blick so leer ist.
Ich glaube, viele hier im Forum wissen ziemlich genau, was ich meine.
Ich ging zum Amt. Sagte klipp und klar: „Ich will zwei Wochen raus. Kein Geld, keine Termine, kein Anspruch.“ Die Dame sah mich an, als hätte ich gerade gefragt, ob ich den Bundesadler leihen darf. „Nicht genehmigungsfähig“, sagte sie. Ich: „Doch. Von mir. Ich genehmige mir das jetzt.“
Das Gesicht, das sie zog, werde ich nie vergessen. Eine Mischung aus Gekränktsein, Kontrollverlust und aufgestautem Amtseifer. Ich verabschiedete mich freundlich. Dann buchte ich den Flug: Berlin – irgendein Golfstaat – Bangkok – Pattaya. 1.000 Euro für 15 Stunden Hoffnung.
Morgens um fünf ging’s los. Koffer kaputt, Schneematsch in den Schuhen, Berlin in seinem traurigsten Licht. Die Leute sahen müde aus. Ich wahrscheinlich auch. Aber ich hatte etwas, was sie nicht hatten: ein Ticket in die Wärme. Und, vielleicht, eine Chance auf etwas, das man nach all dem Lärm „Stille“ nennen könnte.
Pattaya war für mich kein Ziel. Es war eine Atempause. Ein Selbstexperiment. Ich liebe Egon Erwin Kisch und seine für mich schönste Reportage ist die, bei der er Versuche unternimmt indem er Menschen und vor allem sich selbst herausfordert.
Dass ich dort etwas finde, das ich nicht gesucht habe – konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal erahnen.
Ich reise nicht als Held oder Weltenretter. Ich reise als Mensch, der sich selbst betrachtet – neugierig, skeptisch, manchmal auch verwirrt. Pattaya, das Klischee schlechthin, wird für mich zur Bühne eines kleinen Experiments: Wie verhalte ich mich, wenn ich mich wirklich herausfordere? Wenn ich Kontrolle abgebe, und alles Unbekannte auf mich einstürmt?
Es geht nicht darum, anderen etwas zu geben – weder Geld noch Antworten. Sondern darum, zu schauen, was mit mir passiert, wenn Vorurteile auf Wirklichkeit treffen und ich mich selbst plötzlich fremd werde.
Hier, zwischen Hitze, Lärm und fremden Gesichtern, suche ich nicht das große Glück. Ich suche mich. Und dabei staune ich – über die Welt, über die Menschen, vor allem aber über mich selbst.
Aber dazu mehr im nächsten Teil.
eigentlich betrachte ich dieses Forum eher als Chance zum Wissensaustausch – gelegentlich schmunzelnd, oft nachdenklich, manchmal auch nur mit einem gewissen Erstaunen darüber, wie unterschiedlich Perspektiven auf ein und dasselbe Land sein können. Aber irgendwann kommt der Punkt, da will man selbst mal erzählen. Vielleicht, weil etwas zu lange in einem rumort. Vielleicht auch, weil man hofft, irgendjemand erkennt sich in den Zeilen wieder – und fühlt sich ein bisschen weniger allein.
Also, zurück in den Dezember 2010. Berlin war ein Eisschrank (ich glaube es waren - 10 C, kein Witz!), draußen Schneesturm und Sibirien, drinnen mein Kopf ein Chaos. Der Schnee schien das Leben zu ersticken, und ich fragte mich: War’s das jetzt? Ich hatte keine Lust mehr auf Streit, Misstrauen, Kämpfe, bei denen man nicht mal mehr weiß, worum es ursprünglich ging.
Die Trennung von der Mutter meiner Tochter war toxisch. Das Wort ist inflationär, aber in dem Fall treffend. Sie wurde laut, aggressiv, handgreiflich – und drehte danach die Geschichte um, als wäre sie die Regisseurin eines schlecht geschriebenen Dramas. Und ich der Bösewicht. Nur dass ich keinen Text bekam. Ich stand daneben und hörte dabei zu, wie meine Rolle neu geschrieben wurde. Der einzige Mensch, der sich nicht beirren ließ, war meine Tochter. Damals fünf. Sie sagte einfach, was war. Unverstellt. Ohne Agenda. Damit rettete sie mich – innerlich zumindest. Meine Wegweisung und der ganze Erkennungsdienstliche Nachgang waren indes nicht vergessen. Ja, ich wurde rehabilitiert - offiziell.
Aber draußen? Die Nachbarn schwiegen nicht. Die Blicke sagten mehr als Worte. Die Gerüchte sowieso. Ich verlor meinen Job. Der Chef war nicht herzlos, aber auch nicht bereit, mitzuziehen auf meinem sinkenden Schiff. Und ich verstand ihn. Wer will schon jemanden im Team, der morgens mehr mit innerem Zittern kämpft als mit der Arbeit selbst?
Dann kam der Körper. Divertikulitis. Komplikationen. Not-OP. Darmriss. Schmerzen, bei denen man merkt, dass der Mensch nicht nur aus Gedanken besteht. Und ich? Ich rauchte weiter – zwei Schachteln am Tag, als wollte ich meinem Immunsystem zeigen, dass es wirklich keine Chance hat.
Ich zog um. Neuer Kiez, neues Umfeld, neuer Versuch. Ich hatte ein bisschen Geld auf der Seite – nicht extrem viel, aber deutlich genug für ein paar Wochen Freiheit. Bewerbungen liefen, sogar recht vielversprechend. Aber ich merkte: Bevor ich mich neu sortieren kann, muss ich erst einmal… weg. Und zwar wirklich weg. Kein Spaziergang. Kein Wochenendseminar. Weg von allem, was mich erinnerte, wütend machte, auslaugte.
Und dann kam der Gedanke: Pattaya.
Nicht aus Abenteuerlust. Nicht, weil ich das Klischee gesucht hätte. Sondern weil dieser Ort in der Vorstellung der braven, bildungsnahen Gesellschaft so etwas wie der tiefste Punkt der Männlichkeit ist. Dort, wo nur noch Triebe regieren und Anstand Urlaub macht. So wurde es mir zumindest beigebracht. Ein interessantes Experiment meinte ich damals.
Und genau das reizte mich: Dort hinzugehen. Nicht, um mich zu verlieren – sondern um mich zu entziehen. Der ständigen Bewertung. Der Schuld. Der Rechtfertigung. Ich wollte irgendwo sitzen, ein Pad Thai essen, meine Ruhe haben. Einen Drink am Strand. Vielleicht eine Massage, bei der keiner fragt, was ich beruflich mache oder warum mein Blick so leer ist.
Ich glaube, viele hier im Forum wissen ziemlich genau, was ich meine.
Ich ging zum Amt. Sagte klipp und klar: „Ich will zwei Wochen raus. Kein Geld, keine Termine, kein Anspruch.“ Die Dame sah mich an, als hätte ich gerade gefragt, ob ich den Bundesadler leihen darf. „Nicht genehmigungsfähig“, sagte sie. Ich: „Doch. Von mir. Ich genehmige mir das jetzt.“
Das Gesicht, das sie zog, werde ich nie vergessen. Eine Mischung aus Gekränktsein, Kontrollverlust und aufgestautem Amtseifer. Ich verabschiedete mich freundlich. Dann buchte ich den Flug: Berlin – irgendein Golfstaat – Bangkok – Pattaya. 1.000 Euro für 15 Stunden Hoffnung.
Morgens um fünf ging’s los. Koffer kaputt, Schneematsch in den Schuhen, Berlin in seinem traurigsten Licht. Die Leute sahen müde aus. Ich wahrscheinlich auch. Aber ich hatte etwas, was sie nicht hatten: ein Ticket in die Wärme. Und, vielleicht, eine Chance auf etwas, das man nach all dem Lärm „Stille“ nennen könnte.
Pattaya war für mich kein Ziel. Es war eine Atempause. Ein Selbstexperiment. Ich liebe Egon Erwin Kisch und seine für mich schönste Reportage ist die, bei der er Versuche unternimmt indem er Menschen und vor allem sich selbst herausfordert.
Dass ich dort etwas finde, das ich nicht gesucht habe – konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal erahnen.
Ich reise nicht als Held oder Weltenretter. Ich reise als Mensch, der sich selbst betrachtet – neugierig, skeptisch, manchmal auch verwirrt. Pattaya, das Klischee schlechthin, wird für mich zur Bühne eines kleinen Experiments: Wie verhalte ich mich, wenn ich mich wirklich herausfordere? Wenn ich Kontrolle abgebe, und alles Unbekannte auf mich einstürmt?
Es geht nicht darum, anderen etwas zu geben – weder Geld noch Antworten. Sondern darum, zu schauen, was mit mir passiert, wenn Vorurteile auf Wirklichkeit treffen und ich mich selbst plötzlich fremd werde.
Hier, zwischen Hitze, Lärm und fremden Gesichtern, suche ich nicht das große Glück. Ich suche mich. Und dabei staune ich – über die Welt, über die Menschen, vor allem aber über mich selbst.
Aber dazu mehr im nächsten Teil.