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"Wenn der Winter zu laut wird" - 2011, meine erste Reise nach Pattaya

Klimbim

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24 November 2024
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Grüße in die Runde,

eigentlich betrachte ich dieses Forum eher als Chance zum Wissensaustausch – gelegentlich schmunzelnd, oft nachdenklich, manchmal auch nur mit einem gewissen Erstaunen darüber, wie unterschiedlich Perspektiven auf ein und dasselbe Land sein können. Aber irgendwann kommt der Punkt, da will man selbst mal erzählen. Vielleicht, weil etwas zu lange in einem rumort. Vielleicht auch, weil man hofft, irgendjemand erkennt sich in den Zeilen wieder – und fühlt sich ein bisschen weniger allein.

Also, zurück in den Dezember 2010. Berlin war ein Eisschrank (ich glaube es waren - 10 C, kein Witz!), draußen Schneesturm und Sibirien, drinnen mein Kopf ein Chaos. Der Schnee schien das Leben zu ersticken, und ich fragte mich: War’s das jetzt? Ich hatte keine Lust mehr auf Streit, Misstrauen, Kämpfe, bei denen man nicht mal mehr weiß, worum es ursprünglich ging.

Die Trennung von der Mutter meiner Tochter war toxisch. Das Wort ist inflationär, aber in dem Fall treffend. Sie wurde laut, aggressiv, handgreiflich – und drehte danach die Geschichte um, als wäre sie die Regisseurin eines schlecht geschriebenen Dramas. Und ich der Bösewicht. Nur dass ich keinen Text bekam. Ich stand daneben und hörte dabei zu, wie meine Rolle neu geschrieben wurde. Der einzige Mensch, der sich nicht beirren ließ, war meine Tochter. Damals fünf. Sie sagte einfach, was war. Unverstellt. Ohne Agenda. Damit rettete sie mich – innerlich zumindest. Meine Wegweisung und der ganze Erkennungsdienstliche Nachgang waren indes nicht vergessen. Ja, ich wurde rehabilitiert - offiziell.

Aber draußen? Die Nachbarn schwiegen nicht. Die Blicke sagten mehr als Worte. Die Gerüchte sowieso. Ich verlor meinen Job. Der Chef war nicht herzlos, aber auch nicht bereit, mitzuziehen auf meinem sinkenden Schiff. Und ich verstand ihn. Wer will schon jemanden im Team, der morgens mehr mit innerem Zittern kämpft als mit der Arbeit selbst?

Dann kam der Körper. Divertikulitis. Komplikationen. Not-OP. Darmriss. Schmerzen, bei denen man merkt, dass der Mensch nicht nur aus Gedanken besteht. Und ich? Ich rauchte weiter – zwei Schachteln am Tag, als wollte ich meinem Immunsystem zeigen, dass es wirklich keine Chance hat.

Ich zog um. Neuer Kiez, neues Umfeld, neuer Versuch. Ich hatte ein bisschen Geld auf der Seite – nicht extrem viel, aber deutlich genug für ein paar Wochen Freiheit. Bewerbungen liefen, sogar recht vielversprechend. Aber ich merkte: Bevor ich mich neu sortieren kann, muss ich erst einmal… weg. Und zwar wirklich weg. Kein Spaziergang. Kein Wochenendseminar. Weg von allem, was mich erinnerte, wütend machte, auslaugte.

Und dann kam der Gedanke: Pattaya.

Nicht aus Abenteuerlust. Nicht, weil ich das Klischee gesucht hätte. Sondern weil dieser Ort in der Vorstellung der braven, bildungsnahen Gesellschaft so etwas wie der tiefste Punkt der Männlichkeit ist. Dort, wo nur noch Triebe regieren und Anstand Urlaub macht. So wurde es mir zumindest beigebracht. Ein interessantes Experiment meinte ich damals.

Und genau das reizte mich: Dort hinzugehen. Nicht, um mich zu verlieren – sondern um mich zu entziehen. Der ständigen Bewertung. Der Schuld. Der Rechtfertigung. Ich wollte irgendwo sitzen, ein Pad Thai essen, meine Ruhe haben. Einen Drink am Strand. Vielleicht eine Massage, bei der keiner fragt, was ich beruflich mache oder warum mein Blick so leer ist.

Ich glaube, viele hier im Forum wissen ziemlich genau, was ich meine.

Ich ging zum Amt. Sagte klipp und klar: „Ich will zwei Wochen raus. Kein Geld, keine Termine, kein Anspruch.“ Die Dame sah mich an, als hätte ich gerade gefragt, ob ich den Bundesadler leihen darf. „Nicht genehmigungsfähig“, sagte sie. Ich: „Doch. Von mir. Ich genehmige mir das jetzt.“

Das Gesicht, das sie zog, werde ich nie vergessen. Eine Mischung aus Gekränktsein, Kontrollverlust und aufgestautem Amtseifer. Ich verabschiedete mich freundlich. Dann buchte ich den Flug: Berlin – irgendein Golfstaat – Bangkok – Pattaya. 1.000 Euro für 15 Stunden Hoffnung.

Morgens um fünf ging’s los. Koffer kaputt, Schneematsch in den Schuhen, Berlin in seinem traurigsten Licht. Die Leute sahen müde aus. Ich wahrscheinlich auch. Aber ich hatte etwas, was sie nicht hatten: ein Ticket in die Wärme. Und, vielleicht, eine Chance auf etwas, das man nach all dem Lärm „Stille“ nennen könnte.

Pattaya war für mich kein Ziel. Es war eine Atempause. Ein Selbstexperiment. Ich liebe Egon Erwin Kisch und seine für mich schönste Reportage ist die, bei der er Versuche unternimmt indem er Menschen und vor allem sich selbst herausfordert.

Dass ich dort etwas finde, das ich nicht gesucht habe – konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal erahnen.

Ich reise nicht als Held oder Weltenretter. Ich reise als Mensch, der sich selbst betrachtet – neugierig, skeptisch, manchmal auch verwirrt. Pattaya, das Klischee schlechthin, wird für mich zur Bühne eines kleinen Experiments: Wie verhalte ich mich, wenn ich mich wirklich herausfordere? Wenn ich Kontrolle abgebe, und alles Unbekannte auf mich einstürmt?

Es geht nicht darum, anderen etwas zu geben – weder Geld noch Antworten. Sondern darum, zu schauen, was mit mir passiert, wenn Vorurteile auf Wirklichkeit treffen und ich mich selbst plötzlich fremd werde.

Hier, zwischen Hitze, Lärm und fremden Gesichtern, suche ich nicht das große Glück. Ich suche mich. Und dabei staune ich – über die Welt, über die Menschen, vor allem aber über mich selbst.

Aber dazu mehr im nächsten Teil.
 

Klimbim

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24 November 2024
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P.S. Ich muss allerdings sagen, dass ich mich seitdem massiv verändert habe und heute sehr stabil und fröhlich dem Ruhestand entgegen gehen kann. Es ist für mich eine interessante Rückbetrachtung einer Entwicklung, die mich erfreut. Zugleich unterhaltsam.
 

Klimbim

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Bevor ich den zweiten Teil angehe - das wird einen Moment dauern, weil ich Wert auf gute Arbeit lege - möchte ich einen bestimmten Aspekt einmal ausleuchten. Das erleichtert es dem Leser die Motive zu erfassen.

Aus meinem Text:

"Und genau das reizte mich: Dort hinzugehen. Nicht, um mich zu verlieren – sondern um mich zu entziehen.

Der ständigen Bewertung. Der Schuld. Der Rechtfertigung. Ich wollte irgendwo sitzen, ein Pad Thai essen, meine Ruhe haben. Einen Drink am Strand. Vielleicht eine Massage, bei der keiner fragt, was ich beruflich mache oder warum mein Blick so leer ist."




Mein persönlicher absoluter Tiefpunkt zu dieser Zeit war nicht etwa als einer der extrem verständnisvollen Polizisten bei der Vernehmung sagte:

"wissen sie, ich habe eigentlich keine Lust Sie zu befragen. Ich mache hier seit 30 Jahren Dienst und ich weiss exakt, dass Sie ihre Freundin nicht geschlagen haben. Ich weiss es einfach. Aber ich muss Sie befragen und ich darf mich bei Ihnen dafür entschuldigen - das ist meine persönliche Bemerkung und die vergessen wir nun mal bitte...".

... mein absoluter Tiefpunkt der mich in eine Unfähigkeit versetzte auch nur noch ein Wort zu sagen (damals) war als ich beim Jugendamt 3 Sozialarbeiterinnen um mich hatte, die gewaltätige Freundin zur Linken und eine dieser dicklichen Damen um die 50 mich fragte:

"Ja... was Ihre Freundin da tat war nicht ok. Gewalt, auch gegen Männer, ist keine feine Angelegenheit und das Gegenteil zu behaupten um die Tochter zu entziehen (das ich geschlagen hätte, nicht sie), finde ich auch nicht so schön. Aber bitte fragen Sie sich doch auch mal eindringlich was Sie eigentlich dazu beigetragen haben, dass Ihre Ex Freundin sich so verhielt - was haben sie gemacht und was haben Sie sich dabei nur gedacht? Sollten sie gegen die Mutter ihrer Tochter Anzeige erstatten, wäre das eine weitere Eskalation und dem Kindeswohl kaum zuträglich - das sollten Sie genau bedenken."

In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich hier nichts weiter zu sagen haben werde und meine Gedanken zu allem in einen Massagesalon mitnehmen wollte, um dort zu mir selber sprechen zu können.

Der beste Ort dafür erschien mir das mir nur aus Erzählungen bekannte und für meine Zwecke bestens geeignete Seebad in Thailand zu sein...
 
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Sewald

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"Ja... was Ihre Freundin da tat war nicht ok. Gewalt, auch gegen Männer, ist keine feine Angelegenheit und das Gegenteil zu behaupten um die Tochter zu entziehen, finde ich auch nicht so schön. Aber bitte fragen Sie sich doch auch mal eindringlich was Sie eigentlich dazu beigetragen haben, dass Ihre Ex Freundin sich so verhielt - was haben sie gemacht und was haben Sie sich dabei nur gedacht? Sollten sie gegen die Mutter ihrer Tochter Anzeige erstatten, wäre das eine weitere Eskalation und dem Kindeswohl kaum zuträglich - das sollten Sie genau bedenken."

Das sind diese Emanzen in der Gesellschaft.... da wird man vom Opfer zum Täter hingestellt, unglaublich. Du solltest es in dich hineinfressen um nicht weiter zu eskalieren oder deiner Tochter zu schaden.
Ich weiß nicht wie bei so einer Aussage reagiert hätte.

Btw: Sehr guter Anfang von deinem Reisebericht, gut geschrieben und ein offener Einblick in deine Gefühlswelt. Ich bleibe auf jeden Fall dabei und freue mich auf die Fortsetzung. Eine Reise in die Vergangenheit und die gute alte Zeit... (in der alles besser war)
 

Klimbim

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24 November 2024
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Teil 2 / Ankunft: Von Dämonen, Dampf und dem besten Schlaf meines Lebens

Nach fünfzehn Stunden Flug war mein Kopf eine Sirene. Kein normaler Kopfschmerz – eher ein rhythmisches Hämmern, als würden ein paar Dämonen Golf spielen, direkt hinter meinen Augen. Flugzeugessen ist für mich wie Russisch Roulette mit Milch und Weizen. Gluten? Laktose? Ich muss nur dran riechen, und mein Darm unterschreibt die Kündigung.

Damals wusste ich noch nicht, wie gut mir Thailand tun würde. Kein Brot, keine Milch, kaum verarbeitete Produkte. Frisches Gemüse, viel Obst, Reis in allen Variationen. Keine Krämpfe. Keine Durchfälle. Keine Divertikulitis. Mein Körper, sonst ein Rebell, wurde plötzlich buddhistisch.

Aber an diesem ersten Tag war davon noch nichts zu spüren.

SIM-Karte und feuchte Wände

Suvarnabhumi Airport: ein Menschenstrom, der sich durch metallene Gänge quält. Endlose Schlangen vor der Passkontrolle, stickige Luft, übernächtigte Kinder, schlaffe Schultern, durchgeschwitzte T-Shirts. Ich bewegte mich wie in Watte, holte mir irgendwie eine SIM-Karte bei AIS. Ob Touristenpreis oder nicht – egal. Hauptsache Empfang. Und dann raus. Raus in die Wand.

Die Hitze empfing mich wie ein Backofen mit eingebautem Dampfreiniger. Luftfeuchtigkeit jenseits von Sauna. Jeder Atemzug fühlte sich an, als hätte ich ein heißes, nasses Handtuch im Hals. Willkommen in Thailand.

Der Fahrer

Mein Fahrer wartete mit einem Schild, auf dem mein Name in falscher Reihenfolge geschrieben war. Er war klein, zierlich, vielleicht siebzig. Seine Haut wie gegerbtes Leder, die Augen wach, das Lächeln sanft. Er griff sofort nach meinem Gepäck – und ich hatte Mühe, ihn nicht aufzuhalten. Der Koffer war halb so groß wie er.

Kaum saßen wir im Auto, ging’s los:


„You come alone, yes?“

„Ja.“

„Alone come, alone go – but maybe... not go alone back, hehehehe.“

Ich schüttelte den Kopf.

„You no have Thai lady yet?“

„Nein.“

„Ahaaaaa... so you like ladyboy? Very modern! No problem Thailand!“

„Nein!“

„Ohhh you shy man! Maybe you need help find nice lady. I know lady – not too young, not too expensive, very clean. Her name Cahmpa, Nickname Nokia like phone. Very fast charging.“

Was ein Schwachsinn dachte ich aber es war lustig. Ich lachte das erste mal.

Er lachte ebenfalls als er mich lachen sag, bis seine Augen komplett verschwanden. Es war zu absurd, um mich zu ärgern. Dann reichte er mir eine kalte Flasche Wasser. Ich nahm sie, und plötzlich war er einfach nur ein freundlicher alter Mann, der einen verlorenen Europäer chauffierte.

Pattaya. Soi 7. Flipper Hotel.

Die Fahrt nach Pattaya war zäh. Verkehr, Hupen, Baustellen. Motorräder mit drei Mitfahrern, Straßenstände mit brutzelndem Fleisch, Stromkabel wie Spaghetti an den Hauswänden. Die Stadt kam mir entgegen wie ein wilder Strom: laut, bunt, klebrig.

Soi 7 war, sagen wir, lebendig. Bierbars, offene Musikboxen, Frauen mit einem Lächeln, das professionell war – und manchmal trotzdem echt wirkte. Männer in Feinripp, Flipflops, Sonnenbrand. Kellner, die schon morgens Bier servierten. Alles roch nach gegrilltem Fleisch, Parfum, heißem Asphalt und einem Hauch Seife.

Das Flipper Hotel lag mittendrin, aber wirkte wie ein geordneter Rückzugsort. Die Rezeption war schlicht, aber freundlich. Keine Übertreibung, kein Zwang zur überbordenden Freundlichkeit – einfach ein stilles Nicken, ein paar Formulare, ein Schlüssel mit Anhänger so groß wie ein Ziegelstein.

Ich hatte das bessere Zimmer gebucht. Aus Prinzip. Ich wollte nicht nur schlafen, ich wollte ausruhen. Ankommen. Neu justieren.

Ein junger Hotelpage, kaum zwanzig, brachte mein Gepäck aufs Zimmer, stellte es akkurat neben das Bett und verbeugte sich so tief, dass ich mich fast schlecht fühlte. Ich duschte lange. Das Wasser war kühl, fast schon schockierend – aber es holte mich zurück. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit Wochen nicht mehr ganz verloren.

Massage statt Mahlzeit

Ich hatte Hunger. Wirklich Hunger. Aber noch mehr hatte ich das Bedürfnis, nichts zu tun. Im Erdgeschoss war ein kleiner Massagesalon. Oder auf der Strasse wenige Meter weiter? Hab ich vergessen, vergebt mir.

Die Tür stand offen. Die kühle Luft drang heraus wie ein Versprechen. Eine Frau mit wuscheligem Dutt und rosa Poloshirt stand draußen, lächelte und winkte mich herein, reichte mich weiter an eine junge quirlige Kollegin.

„You come. You look very tired. Like old lion, no sleep.“

Ich grinste. Sie war vielleicht 1,50 groß, federleicht, ihre Bewegungen schnell wie die einer überdrehten Katze. Ich sagte: „Only foot massage, OK?“

„OK OK, foot, but also little head, OK? Your face look like broken wifi.“

Reden die hier alle so einen Quark dachte ich, aber es war weiterhin unterhaltsam.

Ich musste lachen. Sie führte mich rein, wusch mir die Füße mit warmem Wasser, tippte dann gegen meine Stirn:

„Too much thinking. Falang brain very busy. You need restart. I help you. I Thai Task Manager.“

Sie begann. Erst Füße, dann Kopf, dann Nacken. Ihre Hände waren kräftig, geübt. Ich schloss die Augen. Es wurde leise um mich. Ich bat um Verlängerung. Dann noch einmal. Drei Stunden später schlief ich tief und traumlos. Kein Jetlag, keine Dämonen, kein Rest-Europa im Hinterkopf.


Als sie mich weckte, war ihre Stimme anders. Ruhiger. Sehr auf mein Aufwachen angepasst.

„You sleep long. Very long. But now... you new man, maybe? Little better, hmm?“

Ich nickte. Ich war nicht angekommen. Aber ich war auf dem Weg. Und das war mehr, als ich mir an jenem Dezembertag in Berlin zu erhoffen gewagt hatte.

Dann kam die Fragerei und damit ihre Lebendigkeit zurück, wie eine Explosion, unvorbereitet:

Sie war klein, drahtig, lebendig. Ihre zwei langen Zöpfe wippten wie Sprungseile, immer dann, wenn sie sprach – und sie sprach viel. Ihre Stimme war hell, eine Mischung aus Plappern und Glucksen, wie eine Comicfigur mit Kaffeeschock.


Sie tippte mir gegen die Stirn, sah mich mit zusammengekniffenen Augen an:


„You come from where? You look not so... German. Maybe... Italy? Or... Brazil man?“


Ich schloss die Augen und antwortete: „Half Germany, half France.“

Sie blinzelte. Schweigen. Dann ein Stirnrunzeln. Dann:
„Haaaa? Germany... okay. But what is Fan-fan? Where that?!“

Ich grinste. „France. You know – Eiffel Tower, wine, cheese... you will not like the smell, I am sure..."

Sie lachte, aber nur aus Höflichkeit. Man sah: keine Ahnung. Dann plötzlich Erleuchtung in den Augen, triumphierend:

„Aaaah! You from... Germance! Very small country, near the moon, yes??“

Ich konnte nicht anders. Ich nickte ernst.

„Exactly. Population: me.“

Sie überschlug sich vor Lachen, die Zöpfe peitschten, ihre Knie zitterten.

„You very funny! Germance man! Wah wah wah. You live city or jungle?“

„Big city. Capital of Germance. Called... Confusion.“

„Wahh! Sound romantic! You eat spicy in Confusion?“

„Only emotionally spicy.“

„Oyyy! I like you! You have girlfriend in... Confusion?“

„She left. Couldn’t handle my geography.“

...

Wie es dann weiterging – das erzähle ich im nächsten Teil.
 
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Klimbim

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Teil 3: Von Entenleber, Thronsesseln und einem Nachtisch auf Plastikstuhl

Ich verließ den Massagesalon wie ein Mensch, der gerade drei Jahre geschlafen hatte. Mein Gang war leicht, mein Blick weichgezeichnet, mein Hirn auf Standby. Ich hätte in diesem Moment wahrscheinlich nicht mal gemerkt, wenn mir jemand ein Tattoo mit dem Wort „Loser“ auf die Stirn kleben würde – Hauptsache, es fühlte sich gut an.

Und, Überraschung: Wir tauschten keine Nummern. Ja, ich weiß – enttäuschend für den Leser. So eine lebendige Figur, so viel Witz, so ein Moment. Aber genau deswegen nicht. Manche Begegnungen sind perfekt, gerade weil sie kein Danach haben. Kein „Was machst du morgen?“, kein WhatsApp-Geplänkel, kein zähes Nachkarten. Nur: Danke. Und weitergehen.

Ich stieg also in einen Bahtbus. Der Fahrer grinste, ich grinste zurück, niemand fragte warum. Das mag ich an Pattaya: Du kannst da sitzen, die Stirn voller Salzkruste, barfuß, mit einem Flanellhemd aus den 90ern – keiner stellt Fragen. Die Stadt ist wie ein alter, lässiger Onkel: leicht versifft, aber herzlich.

Ziel: Ein Restaurant, das ich im Internet gefunden hatte. Französisch. Ja, richtig gehört. Nicht Thai. Keine Garküche. Kein Plastikstuhl.

„Warum isst du denn nicht Thai?“, höre ich den belehrenden Tonfall schon. Ich hab auch selbst kurz gezuckt. Aber dann fiel mir wieder ein: Ich bin hier, weil ich genau das nicht mehr will – mich erklären. Ich bin nicht auf Diät. Nicht auf kultureller Mission. Ich will einfach das essen, worauf ich Lust habe. Punkt.

Also saß ich wenig später auf einem Stuhl, der aussah, als wäre er aus Versailles entführt worden. Hohe Lehne, goldene Verzierungen, Stoff wie von einer alten Opernloge. Es fehlte eigentlich nur noch, dass jemand „Monsieur“ säuselt und mir eine Perücke reicht.

Die Bedienung verstand – nichts. Es war ein Typ, dem sein Schwulsein komplett aus allen Poren kam wobei ich dagegen nichts hatte aber es war unterhaltsamer als sein Versuch mich zu verstehen. Er verstand nichts, ich auch nicht. Also wirklich: nichts. „Water without gas“ wurde zu einem absurden Pantomimenstück. Ich deklamierte mit Händen, Füßen und Grimassen. Am Ende brachte sie mir eine Cola Light. Was soll's. Ich hätte eh zu viel erwartet, hätte ich gedacht, man versteht hier „Sprudelwasser“. Die Masseuse hätte mich wahrscheinlich besser verstanden – aber sie hätte vermutlich angewidert die Nase gerümpft beim Geruch des Roquefort, den ich mir als Vorspeise ausmalte.

Ich bestellte gebratene Entenleber. Dazu einen Salat mit irgendwas Frischem und Grünem, das nicht wie Plastik aussah. Die Crème Brûlée musste ich schweren Herzens ignorieren – der Laktose wegen. Dafür hatte ich ja meinen geheimen Joker.

Draußen hatte ich vor dem Restaurant einen Stand gesehen. Pfannkuchen. Nicht irgendein Pfannkuchen. Sondern einer mit Banane, karamellisiert, außen knusprig, innen weich wie Schuldgefühle. Gekostet hat er umgerechnet nichts, aber er schmeckte wie Erlösung. Ich saß auf einem dieser wackeligen Plastikhocker, der beim falschen Wackeln zusammenbricht – und dachte: Das hier… das ist mein Dessertleben. Außen improvisiert. Innen ziemlich gut.

Zurück auf dem Weg ins Hotel dachte ich kurz nochmal an die Masseuse. Wie sie wohl gucken würde, wenn ich ihr ein Stück Roquefort rüberreiche? Wahrscheinlich würde sie es beschnuppern, mich ansehen wie ein beklopptes Kind, das in den Sandkasten kackt – und dann sehr höflich lachen. Ich verwarf den Gedanken schnell. Ich sah kurz darauf nämlich einen Stand mit frittierten Skorpionen. Und dachte mir: Genau so würde ich auch gucken.

Im Hotelzimmer angekommen, war ich bereit zu schlafen. Dachte ich. Ich war müde, klar. Aber da war auch diese merkwürdige Stille, die sich plötzlich zu laut anfühlte. Kein Hupen. Kein Massagedialog. Kein Pfannkuchengebrutzel. Nur Klimaanlage, Bett und ich.

Ich legte mich hin. Dann wieder hin. Dann auf die Seite. Dann andere Seite. Dann auf den Bauch. Nichts.

Meine Gedanken: munter wie ein Affenzirkus.

Ich machte das Licht an. Schaute in den Spiegel. Der Typ da drin sah… neutral aus. Weder zerfetzt noch euphorisch. Einfach… da. Noch nicht zurück im Leben. Aber auch nicht mehr ganz draußen.

Ich grinste ihn an...

Gerade als ich einschlief, hörte ich sie in meinem Kopf kichern und flüstern: ‘Good night, Germance man… dream spicy, but no too spicy, okay?’ – und irgendwie war ich mir sicher, dass morgen nicht nur der Jetlag auf mich warten würde.


Der vierte Teil kommt...

Spoiler: Es wird laut. Es wird grell. Es wird Thai. Aber nicht so, wie ihr denkt.
 
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sterntat

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13 Juli 2020
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Hamburg
Liest sich sehr gut.
Nach der Zeit das so in Erinnerung zu haben, das muss wirklich ein gelungener Urlaub gewesen sein👍
Ich lese weiter mit😊
 
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Klimbim

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Liest sich sehr gut.
Nach der Zeit das so in Erinnerung zu haben, das muss wirklich ein gelungener Urlaub gewesen sein👍
Ich lese weiter mit😊

Manchmal bin ich mir nicht mehr ganz sicher - ob die Massage im Erdgeschoss war oder in der Strasse zum Beispiel. Ich riskiere dann überlappende Eindrücke aus einem anderen Urlaub mit zu integrieren dann aber nur Details. Bitte um Vergebung. Allerdings habe ich in der Tat eine gute Erinnerungsgabe und das besonders, die Dinge, mich sehr berührten oder zumindest amüsierten. Das Leben, ist eine lustige Veranstaltung. Im insgesamt zumindest besten Sinne.

Den unangenehmen Teil habe ich vergessen und manches mir schlicht nie gemerkt. Ich habe keine Ahnung mehr, wo ich zwischengelandet bin. Doha? Abu Dabi? Barein? Ich weiss es einfach nicht. Aber was die Masseuse sagte weiss ich noch recht gut, weil ich das sehr guten Freunden 100x erzählt habe und die sich dabei köstlich amüsierten.

Und die übelsten Dinge, die im Jugendamt, die weiss ich auch noch sehr gut und genau die würde ich gerne aus meinem kompletten Gedächtnis streichen. Allerdings haben diese Dinge mich auch in eine Richtung getrieben, die sehr positiv für mich war und mich konstruktiv werden liess. Sehr.
 

Dali

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Manchmal bin ich mir nicht mehr ganz sicher - ob die Massage im Erdgeschoss war oder in der Strasse zum Beispiel. Ich riskiere dann überlappende Eindrücke aus einem anderen Urlaub mit zu integrieren. Bitte um Vergebung. Allerdings habe ich in der Tat eine gute Erinnerungsgabe und das besonders, das die schönen Dinge betrifft.

Den unangenehmen Teil habe ich vergessen und manches mir schlicht nie gemerkt. Ich habe keine Ahnung mehr, wo ich zwischengelandet bin. Doha? Abu Dabi? Barein? Ich weiss es einfach nicht. Aber was die Masseuse sagte weiss ich noch recht gut, weil ich das sehr guten Freunden 100x erzählt habe und die sich dabei köstlich amüsierten.

Und die übelsten Dinge, die im Jugendamt, die weiss ich auch noch sehr gut und genau die würde ich gerne aus meinem kompletten Gedächtnis streichen. Allerdings haben diese Dinge mich auch in eine Richtung getrieben, die sehr positiv für mich war und mich konstruktiv werden liess. Sehr.
Schreib, so wie Du Dich hier mitteilen willst und kannst, bitte fort. Ich bin Dir gegenüber sehr aufgeschlossen! Der Bericht ist und wird sicher auch weiterhin sehr hilfreich sein :danke.
 

Klimbim

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Schreib, so wie Du Dich hier mitteilen willst und kannst, bitte fort. Ich bin Dir gegenüber sehr aufgeschlossen! Der Bericht ist und wird sicher auch weiterhin sehr hilfreich sein :danke.

Ja, das werde ich. Es wird allerdings kein erotisch dominierter Reisebericht, weil mir das gar nicht im Vordergrund steht - wenn da einige dann enttäuscht sind, kann ich nichts machen.

Ich schreibe auch etwas über diesen Teil in mir, aber es ist im Schwerpunkt eine Selbstreflexion die auch dazu anregt zu zeigen, wie man aus Schwierigkeiten etwas neues sehr Positives formen kann. Ich würde nicht übertreiben zu sagen, dass ich nur deshalb phasenweise in einer traurigen Krise war, damit ich den besten Weg zu ziemlich viel Glücklichsein finden konnte. Und diese Stufen die ich mir so suchte dafür, die möchte ich denen schenken, die das interessiert.

Es gibt einige hier, die mir langsam sympathisch werden. Einer davon übrigens ist inzwischen ein sehr guter Freund von mir geworden und wir setzen viel daran, dass ich im Oktober in Pattaya Pratumnak in seine Nachbarschaft komme.

Was lustig ist daran: beruflich waren wir, das kann man sagen, im Grunde Feuer und Wasser. Ich wurde sozusagen dafür bezahlt, solche wie ihn in seiner Funktion in den Irrsinn zu treiben.

Was habe ich mit dem zu lachen... naja. Er ist älter als ich und bereits in Rente aber die Poolgespräche mit ihm sind köstlich.

Soweit hat mir das Forum schon Positives gebracht.
 

Dali

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Mein Lieber, Du musst Niemandem hier genügen.
Es mag Leute geben, die erotische Berichte lieber sehen würden.
Doch, Deine Gedanken und Empfindung zu dort und darüber hinaus sind gewiss interessant genug!
Sexberichte gibts zuhauf!
Auch ich durfte sehr wertvolle Freunde im Zusammenhang mit Pattaya kennen lernen. Sehr sehr tolle Freunde!
Und jetzt, mach bitte in gehörigem Tempo für Dich gern weiter!
 
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Klimbim

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24 November 2024
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Das von mir mit dem Gedächtnis war überhaupt nicht negativ gemeint, sondern positiv 👍
Mach weiter so

Schon erstaunlich was teilweise hängenbleibt


Ich staune ja selber. Aufgrund meiner grauen Haare und meiner Bequemlichkeit und meinem Hang es zu geniessen älter zu werden, sage ich allerdings auch mal bei unangenehmen Situationen:

"hab ich vergessen, tut mir leid".

Solchen wie mir nimmt man das nie übel, einfach wunderbar. Älterwerden ist mitunter echt cool. Allerdings emotionale Dinge behalte ich ziemlich gut.

Meine Lieblingslektüre ist im Übrigen die des Rasenden Reporters von Egon Erwin Kisch. Ein Meister der Beobachtung. Genial.
 

Kunke71

Frauen, Motorrad u. Fußballliebhaber
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9 Januar 2014
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Neumarkt St. Veit
Absoluter Weltklassebericht bis jetzt, deine Ausdrucksweise u. Schilderung der Ereignisse liest sich für mich perfekt. Ich war so eben gerade in diesem Massagesalon in der Soi 7 neben dem Flipper House ;) , u. Bananen Pfannkuchen habe ich auch gerochen.
Übrigens, mir ging es mit der Mutter meiner Tochter vor ca. 18 Jahren so ähnlich wie dir. Zwar nicht ganz so krass, aber ich habe zurückgeschlagen u. mußte 1000 € Strafe zahlen. Das Umgangsrecht mit meiner Tochter mußte ich mir vor Gericht einklagen, u. habe ich erfolgreich hinbekommen.
Egal, ich freue mich auf weitere Episoden von dir. Mich verunsichert nur, wo du ihn eingestellt hast. Ich habe ihn nicht mehr gefunden, jetzt habe ich Abo gedrückt.
Dürfen wir wissen, wie alt du bist?