Teil 4 / Breakfast canceled, Confusion man needs massage again
Ich weiß nicht, wann ich eingeschlafen war. Vielleicht gegen halb drei nachts, vielleicht auch schon um zehn. Irgendwo zwischen Rückbesinnung im Lemongrasgartengeruch und innerem Abschalten war ich einfach weggekippt wie ein altes Handy mit ermüdeter Innenseele.
Als ich wieder zu mir kam, schob ich den Vorhang zur Seite, liess die gleissende Sonne eintreten und hüpfte unter die Dusche. Es musste Vormittag sein.
Hotelfrühstück am Buffet mit den massenhaft angebotenen Eiern in allen Variationen und hier noch mit asiatischen scharfen Reisgerichten in Curry-Knoblauch Saucen, ist nicht so meins und weil ich mich als Einzelreisender an nichts halten musste, entschied ich mich mal in die 2ndRoad zu laufen um zu sehen, wo ich etwas zum Frühstück finden würde was mir zusagen könnte.
Ich verbarg meine Augen hinter einer billigen Sonnenbrille, zog mir die zuvor getragenen kurzen Hosen an die ich bei Hennes& Maurice zuvor letzten Sommer erworben habe und die noch irgendwie hielten, schlüpfte in mein blaues T - Shirt mit der albernen Aufschrift "Captain" - meine ex Freundin, hatte mir das Teil mal erworben und ich fand es total bescheuert: heute war der Tag der Trennungen und heute würde ich mir eine Menge T-Shirts kaufen. Allerdings nicht die, auf denen stünde: "I love Pattaya" im Hawaii-Look. Die fand ich mindestens so unansehnlich wie das, was ich hatte.
"Captain"... fehlte nur noch, dass man mir ein entsprechendes Tatoo auf die Stirn knallte...
Auf dem Weg zur Second gerade als ich als dem Hotel trat, hörte ich es:
„Maaaaasssaaaaaaaage!!! Confusion maaan! You escape? You forget me already?!“
Ich brauchte einen langen langen Moment, um überhaupt zu verstehen, wo ich war. Mein Körper fühlte sich an wie zu lange in Reishülle gegarter Keks. Ich tappte barfuß zur Balkontür und blinzelte hinaus.
Und da stand sie.
Zwei lange Zöpfe, die wippten wie die Ohren eines Comic-Hasen, ein grellgelbes Shirt, Sonnenbrille auf dem Kopf. Ihre Stimme: wie ein Vogel mit Rededrang und Koffeinsucht. Ich erkannte sie sofort – nicht nur vom ersten Abend. Sondern auch, weil ich gestern auf dem kleinen Aufsteller vor dem Massagesalon, auf dem in wackeligem Gold „Welcome" stand, unabsichtlich hängen geblieben war.
Fai.
„You sleep like panda on drugs! Come here! We fix your brain again!“
Ich hob die Hand. Eine Mischung aus Gruß und Kapitulation: Fai stand plötzlich vor mir wie ein menschlicher Stopp-Schild in Flipflops.
„Nooo no no. You hungry? No! You empty head first! Come, come. Brain more important than stomach. We clean your signal!“
„But I - ”
„No but! Come! Massage first. You like. Head first, rice later!“
Ich hatte keine Chance. Sie hakte sich bei mir unter, zog mich durch den heißen Straßenwind zurück Richtung Salon. Ich stolperte halb mit, halb ergab ich mich.
Drinnen empfing mich wieder die kühle Luft, ein Hauch von Zitronengras und Tigerbalm. Fai schob mich auf dieselbe Matte wie am Vortag, tippte auf das kleine Stoffkissen.
„Same head, same spot. But today, better technique! Deluxe version. No 7-Eleven, today is massage like... department store!“
Ich musste lachen.
„With air conditioning and elevator music?“
„With everything! Even emotional support! Today, free upgrade!“
Sie band sich ihre Zöpfe neu zusammen, nahm kurz meine Stirn zwischen Daumen und Zeigefinger wie ein Handwerker, der prüft, ob da noch Spiel ist.
Und dann begann sie.
Ihre Bewegungen waren präziser als gestern. Punktgenau. Weich, aber sicher. Ich schloss die Augen, gab mich hin – und spürte, wie sich etwas in mir öffnete. Wieder schob sich der innere Film in Bewegung. Kindheitsbilder meiner Tochter. Das war der Moment bei dem ich entspannte und dieser Film meines Butterkekses zu Hause in mir auftauchte. Puppenbühnen.
Sie schaute mich an in Gedanken. Meine kleine Tochter, wie sie mich anguckte mit aufgerissenen dunklen Augen und langen schwarzen Locken:
„Papiiiiii, das Krokodil darf nicht beißen! Es hat Zahnweh!“
Dann wieder diese andere Stimme. Eiskalt. Eine andere Stimme, unangenehm, bedrohlich. Sie sprach mit mir vor meiner Abreise und gehörte der Mutter meiner Tochter. Die Stimme verfolgte mich also bis hierher, alle Achtung.
„Wenn du nach Thailand fliegst, brauchst du dich nicht wundern, wenn du sie nie wieder siehst.“
Warum war ich so blöd ihr zu sagen, wohin ich verreisen würde. Was ein Idiot ich war. Wollte ich sie ärgern? Wir waren längst getrennt! Ich musste dieser Hexe gar nichts sagen, war ihr nichts schuldig. Nicht einmal eine neue Tube Aldi Zahnpaster, nicht mal die!
Jedoch hatte sie immer noch Macht. Narzissten sind ungeheuer mächtig, manipulieren, zerstören, bestrafen...etwas in mir zog sich zusammen.
Ich schluckte. Spürte die Träne, die nicht kam. Spürte, dass die Zöpfe über mir es merkten – denn Fai stoppte kurz. Nur einen Moment.
Sie legte beide Handflächen an meine Schläfen. Atmete ruhig.
Und dann – völlig unkontrolliert, als hätte sie nicht drüber nachgedacht – beugte sie sich vor.
Und küsste mich auf die Stirn. Kurz. Still. Kein Geräusch, kein Kommentar.
Ich öffnete die Augen. Sie hatte sich schon erschrocken zurückgezogen. Stand da, sah mich nicht an. Tat, als müsste sie gerade irgendwas in ihrer Tasche sortieren, was gar nicht da war.
Ich sagte nichts. Und sie auch nicht. Es blieb einfach stehen, wie ein kleiner, stiller Moment, der nichts wollte, aber trotzdem blieb.
Als ich irgendwann aufstand, war es wohl Mittag. Mein Magen grollte, mein Hirn war erstaunlich klar. Ginge es so weiter, würde ich das als Intervallfasten bezeichnen aber es sei mir recht dachte ich.
Draußen wartete Fai mit einem eisgekühlten Mangosaft. Normalerweise, so weiss ich es heute, bekommt man Wasser danach. Ich bekam Mangosaft, den sie für mich irgendwo draussen organisiert hatte. Mit Eiswürfeln im Becher. Na sowas!
„You now upgraded! From Broken Wifi to Jack in Box edition! Strong battery. No emotion app.“
Was waren das immer für Sprüche? Hat sie die alle gelernt oder kam das spontan? Es kam spontan denke ich aber es war wundersam lustig, absolut.
Ich grinste, nahm den Becher.
„Still loading. But better signal.“
Sie klatschte in die Hände.
„Yaaaay! You back! Now go eat something. You look like banana with heartbreak.“
Ich trat raus aus dem Salon, den kalten Mangosaft in der Hand, und die Hitze Pattayas war plötzlich erträglich. Mein Hirn war entknotet, mein Körper angenehm ausgeleert. Sogar mein Hunger war eher höflich als dringend.
Ich lief die Soi 7 entlang wie jemand, der gerade einen zweiten Reset bekommen hatte. Fast wie Urlaub. Fast.
Da vibrierte mein Handy.
Altes Display. Nachricht von einer deutschen Nummer.
Hallo Herr "Klimbim" (stand da natürlich nicht!), kurze Frage: Kommt Ihre Tochter am Dienstag mit zum Ausflug? Wir brauchen bis morgen eine Rückmeldung wegen der Anmeldung. Ihre Ex-Partnerin ist telefonisch leider nicht erreichbar. LG, Herr XXXX (Leitung Kindergarten).“
Ich blieb stehen. Mein rechter Fuß trat leicht ins Leere. Der Saft klebte mir plötzlich an den Fingern.
Ich starrte auf das Display.
Las es noch einmal.
Dann noch einmal.
„...nicht erreichbar.“
Ich hörte, wie mein eigener Puls ein Geräusch machte, das ich nicht kannte.
Nicht erreichbar.
Kein Kontakt.
Einfach... weg?
Mein Kopf war plötzlich wieder im Winter. Berlin. Streit. Drohungen. Die letzten Worte der Mutter am Telefon:
„Wenn du wirklich fährst – dann brauchst du dich nicht wundern, wenn du sie nicht wiedersiehst. Nach Pattaya... du spinnst wohl. Du verdammtes Schwein!“
Damals hatte ich das noch als Wut eingeordnet. Als Theater.
Jetzt war es wie ein Schlüssel in einem Schloss, das besser nie aufgehen sollte.
Ich spürte, wie mein Bauch eiskalt wurde, obwohl die Sonne auf mich knallte.
Gedanken rasten. Ist sie einfach untergetaucht? Hat sie meine Tochter aus dem Kindergarten genommen? Was, wenn sie irgendwohin verschwunden sind – Ausland? Oder einfach nur bockig offline?
Aber... was, wenn nicht?
Ich rief an. Fehler Nummer 1.
Mailbox.
Ich rief nochmal an. Fehler Nummer 2, das würde sie später nämlich sehen und sich freuen schoss es mir durch den Kopf.
Wieder nur diese Stimme, die so freundlich klang wie eine automatisierte Ohrfeige.
Ich starrte auf das Handy. Ich fühlte mich plötzlich wie ein Betrunkener, der eben noch in einer warmen Umarmung lag – und dann nackt auf einem Parkplatz aufwacht. Allein.
Fai trat neben mich und zupfte an meinem T-Shirt mit der idiotischen Beschriftung. Ihre Nase dampfte.
Sie hatte gesehen, dass etwas nicht stimmte, lief mir einige Meter nach um sich zu vergewissern. Ungewöhnlich dachte ich - sie hatte doch ihren Job. Ihre Augen suchten mein Gesicht. Keine Witze jetzt, keine Zöpfe, die tanzten.
„You... ok? You have pain again?“
Ich schüttelte leicht den Kopf.
Zögerte.
Dann: „I don’t know. Maybe.“
Sie sagte nichts. Blieb einfach da. Ich glaube, sie wusste instinktiv, dass ich nicht reden wollte.
Und ich wusste, dass dieser Tag gerade eine ganz andere Richtung nahm...
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Teil 5 wird folgen... ich werde jetzt arbeiten gehen und mich später erinnern und euch dann mitnehmen

Einen schönen Freitag schon mal.