MIA - Meiner ist anders! (Teil 9)
Der April brachte ungewöhnlich warmes Wetter nach Wuppertal, und mit ihm eine Veränderung, die Werner zunächst übersehen hatte. Phao schien wieder aufzuleben – seine Schritte waren federnder, sein Lächeln echter, seine Augen heller. Nach den schweren Monaten des Winters, den endlosen Diskussionen über Deutschkurse und Jobsuche, den stillen Vorwürfen und der wachsenden Entfremdung, war Werner dankbar für jedes Zeichen, dass seine Ehe noch zu retten war.
"Wie war's heute im Restaurant?", fragte Werner an einem Donnerstagabend, als Phao ungewöhnlich spät nach Hause kam. Es war fast Mitternacht, aber Phao strahlte vor Energie.
"Sehr gut!", antwortete Phao und zog seine Jacke aus. "Neuer Kellner da. Max. Sehr nett."
"Deutscher?"
"Ja, Student. Spricht auch bisschen Thai – war oft in Thailand mit Familie." Phao setzte sich zu Werner aufs Sofa, etwas, was er monatelang nicht getan hatte. "Er versteht viel über... über meine Situation."
Werner nickte, erleichtert über Phaos gute Laune. "Das ist schön. Du brauchst deutsche Freunde."
In den folgenden Wochen hörte Werner viel von Max. Max hatte schon Phuket besucht, als er noch ein Teenager war. Max studierte BWL und wusste viel über Deutschland. Max konnte Phao Dinge über deutsche Kultur erklären, die Werner selbst für selbstverständlich hielt.
"Max sagt, ich soll mehr ausgehen. Deutsche junge Leute gehen viel aus," berichtete Phao eines Abends. "Nicht nur arbeiten und schlafen."
"Das ist eine gute Idee," sagte Werner, auch wenn er einen leichten Stich verspürte. Warum hatte Phao auf ihn nicht gehört, wenn er dasselbe vorgeschlagen hatte?
Ende April wollte Werner Phao im Golden Lotus abholen – sie hatten einen Termin bei der Ausländerbehörde wegen der Verlängerung von Phaos Aufenthaltstitel. Als er das Restaurant betrat, sah er Phao am hinteren Tisch sitzen, tief im Gespräch mit einem jungen Mann mit mittellangen blonden Haaren.
Das musste Max sein.
Werner beobachtete die beiden einen Moment lang, bevor er sich näherte. Max war größer als Phao, athletisch gebaut, mit dem selbstbewussten Auftreten eines jungen Mannes, der nie um etwas kämpfen musste. Er gestikulierte lebhaft, während er redete, und Phao hing an seinen Lippen, lachte über etwas, was Max gesagt hatte.
"Werner!", rief Phao, als er ihn entdeckte. "Das ist Max! Max, das ist mein Mann Werner."
Max stand auf und streckte Werner die Hand entgegen. Sein Händedruck war fest, sein Lächeln offen und freundlich, aber Werner spürte etwas in seinen Augen – eine Art Abschätzung, vielleicht sogar Mitleid.
"Freut mich, Sie kennenzulernen," sagte Max höflich. "Phao erzählt viel von Ihnen."
"Hoffentlich nur Gutes," erwiderte Werner mit einem schwachen Lächeln.
"Natürlich," sagte Max, aber sein Blick wanderte bereits zurück zu Phao. "Wir haben uns gerade über Thailand unterhalten. Ich war letztes Jahr noch mal da, mit ein paar Freunden. Verrückt, wie sich das Land verändert hat."
Werner nickte, fühlte sich aber ausgeschlossen aus einem Gespräch, das er nicht mitführen konnte. Er war nie wieder in Thailand gewesen, seit er Phao geholt hatte.
Auf dem Weg zur Ausländerbehörde war Phao ungewöhnlich schweigsam.
"Max scheint nett zu sein," sagte Werner schließlich.
"Ja, sehr nett." Phao starrte aus dem Autofenster. "Er versteht Dinge, die... die andere nicht verstehen."
"Was für Dinge?"
Phao zögerte. "Wie ist das, wenn man jung ist. Wenn man will... experimentieren. Erleben."
Werner spürte einen kalten Stich in der Brust, sagte aber nichts.
Im Mai wurden Phaos Abende länger und unberechenbarer. Er kam oft erst nach zwei Uhr morgens nach Hause, manchmal noch später. Wenn Werner fragte, wo er gewesen war, war die Antwort immer dieselbe: "Mit Max und Chai. Reden, trinken, Stadt anschauen."
Die Art, wie Phao nach Hause kam, veränderte sich auch. Früher war er müde gewesen, schwermütig vom Alkohol. Jetzt war er aufgekratzt, redete schnell und zusammenhanglos, seine Pupillen waren manchmal seltsam groß oder klein.
"Was trinkt ihr denn?", fragte Werner eines Nachts, als Phao besonders aufgedreht war und nicht still sitzen konnte.
"Verschiedene Sachen," sagte Phao ausweichend. "Max kennt viele... interessante Orte."
"Was für Orte?"
"Clubs. Bars. Orte, wo junge Leute hingehen." Phao drehte sich zu Werner um, seine Augen glänzten fiebrig. "Du würdest nicht mögen. Zu laut, zu... wild."
Werner versuchte, seine wachsende Sorge zu verbergen. "Vielleicht könnte ich mal mitkommen. Euch kennenlernen."
Phao schüttelte den Kopf. "Nein, nein. Ist nicht für... für ältere Menschen. Max sagt, seine Freunde würden sich strange fühlen."
Das war das erste Mal, dass Phao Werner direkt als "älteren Menschen" bezeichnet hatte. Die Worte trafen wie Schläge.
Anfang Juni bemerkte Werner die ersten körperlichen Veränderungen an Phao. Er hatte abgenommen, seine Wangenknochen traten stärker hervor, unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. Manchmal roch er nach süßlichem Rauch, den Werner nicht einordnen konnte.
"Geht es dir gut?", fragte Werner eines Morgens beim Frühstück. "Du siehst müde aus."
"Bin nicht müde," sagte Phao, aber seine Hände zitterten leicht, als er seine Kaffeetasse hob. "Fühle mich gut. Sehr gut. Erste Mal seit langer Zeit fühle ich mich... lebendig."
"Durch Max?"
Phao nickte, ohne Werner anzuschauen. "Max zeigt mir Deutschland. Echtes Deutschland. Nicht nur..." Er machte eine umfassende Geste durch die ordentliche Küche. "Nicht nur das."
"Was ist falsch mit 'dem'?"
"Nichts falsch. Aber ist nicht alles. Ist nicht Leben für jungen Mann."
Werner stand auf, ging zur Spüle, um sein Geschirr zu spülen. Mit dem Rücken zu Phao sagte er: "Du bist verheiratet, Phao. Mit mir. Das bedeutet etwas."
"Ich weiß," flüsterte Phao. "Aber ich bin auch 24. Das bedeutet auch etwas."
Ende Juni geschah etwas, was Werner die Augen öffnete. Er hatte beschlossen, Phao im Golden Lotus zu überraschen – mit Blumen, als kleine Geste der Versöhnung. Als er das Restaurant betrat, war Phao nicht da.
"Wo ist Phoumsana?", fragte er Somchai, den Besitzer.
Somchai sah verlegen aus. "Er... er arbeitet heute nicht. Ist krank, sagt er."
"Krank? Seit wann?"
"Drei Tage. Ruft jeden Tag an, sagt er kommt morgen."
Werner fuhr nach Hause, aber Phao war nicht da. Sein Anruf ging direkt zur Mailbox. Erst um vier Uhr morgens hörte Werner den Schlüssel in der Tür.
Phao kam herein, sichtlich berauscht, aber nicht nur von Alkohol. Seine Bewegungen waren seltsam verlangsamt, seine Augen glasig und weit.
"Wo warst du?", fragte Werner.
"Bei Max," antwortete Phao ehrlich. "Seine Eltern sind weg. Großes Haus, Pool, sehr schön."
"Du hast drei Tage nicht gearbeitet."
Phao zuckte mit den Schultern. "War nicht wichtig. Max hat Geld. Wir haben... gefeuert."
"Gefeiert was?"
Ein seltsames Lächeln huschte über Phaos Gesicht. "Leben. Jugend. Freiheit."
Werner folgte Phao ins Badezimmer, wo dieser sich über das Waschbecken beugte und kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. In dem hellen Licht sah Werner zum ersten Mal deutlich die Veränderungen: Phao war nicht nur dünner geworden, seine Haut hatte einen gelblichen Ton angenommen, und an seinem Hals waren kleine rote Flecken, die aussahen wie...
"Hast du Sex mit ihm?"
Die Frage kam so direkt, dass Phao zusammenzuckte. Er drehte sich um, lehnte sich gegen das Waschbecken.
"Max ist mein Freund."
"Das ist keine Antwort auf meine Frage."
Phao schwieg länger als nötig. "Ist kompliziert, Werner."
"Nein, ist es nicht. Entweder du schläfst mit ihm oder nicht."
"Du verstehst nicht." Phaos Stimme wurde lauter, aggressiver. "Du verstehst nicht, wie ist das, jung zu sein in Deutschland. Du verstehst nicht, wie einsam ich war, bis Max..."
"Bis Max was?"
"Bis Max mir zeigt, dass ich nicht muss leben wie... wie alter Mann. Dass ich kann sein, wer ich bin."
Werner fühlte, wie sein Herz raste. "Und wer bist du?"
Phao richtete sich auf, schaute Werner direkt an. Trotz des Rausches war sein Blick klar und bestimmt. "Ich bin 24 Jahre alt. Ich bin schön. Ich bin interessant. Und ich will nicht verschwenden mein Leben mit..." Er verstummte.
"Mit was? Mit mir?"
Phao senkte den Blick. "Ich sag das nicht."
"Du hast es aber gedacht."
Sie standen sich im kleinen Badezimmer gegenüber, zwei Männer, die einander einmal geliebt hatten – oder geglaubt hatten, es zu tun. Werner sah in Phaos Augen nicht mehr den scheuen, dankbaren jungen Mann aus Pattaya, sondern jemand anderen: selbstbewusster, härter, hungriger nach Dingen, die Werner ihm nicht geben konnte.
"Ich gehe schlafen," sagte Phao schließlich und drängte sich an Werner vorbei.
"Im Gästezimmer," sagte Werner.
Phao drehte sich um. "Was?"
"Du schläfst im Gästezimmer. Bis wir das geklärt haben."
Einen Moment lang sah es aus, als würde Phao protestieren. Dann nickte er nur und verschwand.
Werner blieb allein im Badezimmer zurück, starrte sein Spiegelbild an. 58 Jahre alt, graue Haare, müde Augen, Falten, die tiefer wurden. Neben der Erinnerung an Max – jung, blond, selbstbewusst – fühlte er sich wie ein alter Mann.
Zum ersten Mal seit der Hochzeit dachte Werner ernsthaft daran, dass seine Ehe vorbei sein könnte.
Juli brachte eine Eskalation, die Werner nicht erwartet hatte. Phao versteckte nicht mehr, was er tat. Er kam und ging, wann er wollte, arbeitete nur noch sporadisch im Restaurant, verbrachte ganze Wochenenden bei Max.
"Er braucht seinen Aufenthaltstitel," sagte Werner zu seinem Kollegen Klaus, mit dem er mittlerweile über seine Probleme sprach. "Ohne die Ehe muss er Deutschland verlassen."
"Und trotzdem benimmt er sich so?"
"Er ist 24," sagte Werner bitter. "In dem Alter denkt man nicht an Konsequenzen."
Klaus schüttelte den Kopf. "Du solltest ihm ein Ultimatum stellen."
Aber Werner zögerte. Was, wenn Phao sich gegen ihn entschied? Was, wenn die Aussicht auf ein Leben mit Max ihm wichtiger war als das Bleiberecht in Deutschland?
Die Antwort kam an einem Samstagabend Ende Juli. Werner war allein zu Hause, sah fern, als er Stimmen im Garten hörte. Er schaute durchs Fenster und sah Phao und Max auf der Terrasse stehen, ein Joint zwischen ihnen, der in der Sommerdämmerung glühte.
Max sagte etwas, was Phao zum Lachen brachte. Dann beugte sich Max vor und küsste ihn.
Es war kein freundschaftlicher Kuss. Es war der Kuss zweier Liebender, leidenschaftlich, hungrig, vertraut. Phaos Hände griffen in Max' blonde Haare, zogen ihn näher. Max' Hände wanderten über Phaos Rücken, unter sein T-Shirt.
Werner stand wie erstarrt am Fenster, unfähig wegzuschauen, unfähig zu atmen. Das hier war nicht Experimentieren oder Verwirrung oder jugendlicher Leichtsinn. Das hier war Liebe. Echte, körperliche, alles konsumierende Liebe.
Und Werner war nicht Teil davon.
Er riss die Terrassentür auf.
"Was zum Teufel ist hier los?"
Die beiden sprangen auseinander. Phao sah schuldbewusst aus, aber Max – Max lächelte. Ein selbstbewusstes, fast arrogantes Lächeln.
"Hallo, Werner," sagte Max ruhig. "Schöner Abend, nicht wahr?"
"Ihr... ihr küsst euch. In meinem Garten. Während ihr Drogen nehmt."
"Nur ein bisschen Gras," sagte Max achselzuckend. "Und ja, wir küssen uns. Weil wir uns mögen."
Werner starrte Phao an, suchte in seinem Gesicht nach Reue, nach Scham, nach irgendeinem Zeichen, dass ihm ihre Ehe noch etwas bedeutete.
Stattdessen sah er Trotz.
"Du hast gesagt, du willst ehrlich sein," sagte Phao leise. "Das ist ehrlich. Ich liebe Max."
Die Worte trafen Werner wie physische Schläge. "Und ich? Was bin ich für dich?"
Phao zögerte, schaute zwischen Werner und Max hin und her. "Du bist... du bist mein Mann. Mein Ehemann. Aber Max ist..."
"Max ist was?"
"Max ist mein Herz," flüsterte Phao.
Max trat einen Schritt vor, legte beschützend eine Hand auf Phaos Schulter. "Hören Sie, Werner, ich weiß, das ist schwer für Sie. Aber Sie müssen ehrlich zu sich selbst sein. Lieben Sie Phao wirklich? Oder brauchen Sie ihn nur?"
"Wie bitte?"
"Ich meine, schauen Sie sich doch an," Max' Stimme wurde schärfer. "Ein 58-jähriger Mann, der sich einen 24-jährigen aus Thailand holt. Das ist nicht Liebe, das ist... Verzweiflung."
Werner spürte, wie Wut in ihm aufstieg. "Du kennst mich nicht. Du kennst uns nicht."
"Ich kenne Phao," sagte Max ruhig. "Und ich sehe, wie er ist, wenn er bei mir ist. Lebendig. Glücklich. Jung. Bei Ihnen ist er... was? Ein Hausmann? Ein Dankbarkeitsbeweis? Ein exotisches Haustier?"
"Max, bitte," murmelte Phao.
Aber Max war noch nicht fertig. "Er ist 24, Werner. 24! Er sollte die Welt entdecken, Risiken eingehen, Fehler machen. Stattdessen sitzt er hier in Ihrem ordentlichen kleinen Reihenhaus und spielt Ehemann für einen Mann, der alt genug ist, sein Vater zu sein."
"Er braucht mich," sagte Werner verzweifelt. "Ohne mich wird er abgeschoben."
Max lächelte kalt. "Und da haben wir es. Sie halten ihn mit Papieren gefangen. Das ist nicht Liebe, das ist Erpressung."
"Das stimmt nicht!"
"Nein?" Max wandte sich an Phao. "Sag ihm, Phao. Sag ihm, dass du bei ihm bleiben würdest, auch wenn du nicht müsstest. Sag ihm, dass du ihn wählst, wenn es keine Konsequenzen gäbe."
Phao öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Die Sekunden vergingen. Werner spürte, wie sein Herz brach.
"Phao," flüsterte er. "Sag etwas."
Aber Phao schwieg.
Max nickte, als wäre eine Frage beantwortet worden. "Sehen Sie? Er kann es nicht sagen, weil es nicht wahr ist."
Werner schaute zwischen den beiden hin und her – Max, selbstbewusst und siegessicher, Phao, zerrissen und gequält. Seine Ehe, seine Zukunft, alles, wofür er gekämpft hatte, zerbröselte vor seinen Augen.
"Raus," sagte er leise.
"Was?" fragte Max.
"RAUS!" brüllte Werner. "Raus aus meinem Haus! Sofort!"
Max hob die Hände. "Okay, okay. Ich gehe." Er wandte sich an Phao. "Kommst du mit?"
Werner hielt den Atem an. Das war der Moment der Wahrheit. Würde Phao mit Max gehen? Würde er Werner für einen Mann verlassen, den er erst seit drei Monaten kannte?
Phao schaute zwischen ihnen hin und her, Tränen in den Augen. "Ich... ich kann nicht. Nicht jetzt. Ich brauche Zeit zum Denken."
Max nickte verstehend. "Okay. Aber du weißt, wo du mich findest." Er küsste Phao sanft auf die Stirn, ignorierte Werner komplett und ging.
Als die Gartentür hinter ihm ins Schloss fiel, blieben Werner und Phao allein auf der Terrasse zurück. Die Sommernacht war warm und still, aber zwischen ihnen lag eine Kälte, die bis in die Knochen ging.
"Was jetzt?", fragte Phao schließlich.
Werner schaute ihn an – den Mann, den er geheiratet hatte, den er liebte, der sein Herz gebrochen hatte. "Ich weiß es nicht," sagte er ehrlich. "Ich weiß es wirklich nicht."
Die nächsten Wochen waren die schwierigsten von Werners Leben. Phao blieb im Haus, aber sie lebten wie Fremde aneinander vorbei. Phao ging zur Arbeit, kam abends nach Hause, aß schweigend zu Abend und verschwand in sein Zimmer. Keine langen Nächte mehr bei Max, keine Drogen, kein Alkohol – aber auch keine Gespräche, keine Zärtlichkeit, keine Hoffnung.
Werner versuchte mehrmals, das Gespräch zu suchen.
"Können wir reden?", fragte er eines Abends.
"Worüber?", antwortete Phao, ohne von seinem Handy aufzublicken.
"Über uns. Über unsere Zukunft."
"Was für Zukunft?"
"Phao, bitte. Wir sind verheiratet. Das muss doch etwas bedeuten."
Phao schaute endlich auf. Seine Augen waren müde, resigniert. "Ja, es bedeutet etwas. Es bedeutet, ich kann in Deutschland bleiben. Es bedeutet, meine Familie bekommt Geld. Es bedeutet, ich bin sicher." Er pausierte. "Aber es bedeutet nicht, dass ich glücklich bin."
"Du warst glücklich. Am Anfang."
"Am Anfang war ich dankbar. Das ist nicht dasselbe."
Werner setzte sich neben ihn aufs Sofa. "Und jetzt? Mit Max? Bist du da glücklich?"
Phaos Gesicht wurde weich, fast träumerisch. "Ja. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich... komplett."
"Aber du bist hier. Bei mir."
"Weil ich muss," sagte Phao leise. "Nicht weil ich will."
Die Wahrheit war so brutal, so endgültig, dass Werner nichts mehr sagen konnte.
Ende August erreichte die Situation ihren Höhepunkt. Werner kam früher als gewöhnlich von der Arbeit nach Hause und hörte Stimmen aus dem Wohnzimmer. Als er näher kam, erkannte er Max' Lachen.
Sie saßen eng nebeneinander auf dem Sofa, Phaos Kopf auf Max' Schulter, ihre Finger ineinander verschrängt. Auf dem Couchtisch standen zwei Biergläser und etwas, was aussah wie ein zerdrückter Joint.
"Was machst du hier?", fragte Werner scharf.
Max schaute auf, unerschrocken. "Phao hat mich eingeladen."
"In mein Haus."
"Es ist auch Phaos Haus," sagte Max ruhig. "Er lebt hier."
Werner wandte sich an Phao. "Ist das wahr? Du hast ihn eingeladen?"
Phao nickte, ohne Werner anzuschauen. "Wir müssen reden. Alle drei zusammen."
"Worüber?"
Max antwortete für ihn. "Über eine Lösung. Eine, die für alle funktioniert."
Werner lachte bitter. "Was für eine Lösung? Dass ich zusehe, wie ihr euch in meinem Wohnzimmer bekifft?"
"Dass Sie akzeptieren, was nicht zu ändern ist," sagte Max. "Phao liebt mich. Ich liebe ihn. Das wird nicht weggehen, nur weil Sie es ignorieren."
"Und was schlägst du vor? Dass er sich scheiden lässt und abgeschoben wird?"
Max schüttelte den Kopf. "Nein. Dass Sie erwachsen werden und eine moderne Lösung finden."
"Modern?"
"Polyamorie. Offene Beziehung. Nennen Sie es, wie Sie wollen." Max beugte sich vor. "Phao braucht Sie für seine Papiere. Sie brauchen ihn für... was auch immer Sie brauchen. Ich brauche ihn, weil ich ihn liebe. Warum können wir das nicht alle haben?"
Werner starrte ihn an. "Du schlägst vor, dass wir uns meinen Mann teilen?"
"Ich schlage vor, dass Sie aufhören, ihn zu besitzen," sagte Max scharf. "Menschen sind keine Gegenstände."
Werner schaute zu Phao, der immer noch nicht aufblickte. "Und du? Was denkst du darüber?"
Phao hob endlich den Kopf, schaute Werner direkt an. "Ich denke... ich denke, Max hat recht. Ist die einzige Lösung."
"Die einzige Lösung wäre, dass du dich entscheidest. Ich oder er."
"Warum?", fragte Phao leise. "Warum kann ich nicht beide haben? Du gibst mir Sicherheit, er gibt mir Liebe. Together, ist perfect."
"Weil es nicht so funktioniert!", explodierte Werner. "So funktionieren Ehen nicht!"
"Normale Ehen nicht," sagte Max ruhig. "Aber das hier ist nicht normal, oder? Ein deutscher Mann mittleren Alters und ein laotischer Bar Boy? Das war nie normal."
Werner spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog. "Raus. Beide. Sofort."
Max stand auf, nahm Phaos Hand. "Komm, Phao. Wir gehen."
Phao zögerte. "Wo... wohin?"
"Zu mir. Meine Eltern sind noch eine Woche weg."
Phao schaute zwischen Max und Werner hin und her. "Und dann? Was passiert mit meinen Papieren? Mit meiner Familie?"
Max zuckte mit den Schultern. "Das finden wir schon heraus."
"Nein," sagte Werner plötzlich. "Das findest du nicht heraus. Ohne mich hat er keine Papiere. Ohne mich muss er Deutschland verlassen."
"Dann hören Sie auf, das als Waffe zu benutzen," sagte Max kalt.
"Es ist keine Waffe. Es ist die Realität."
Phao stand auf, ging zum Fenster, schaute hinaus in den Garten, wo vor Wochen alles angefangen hatte mit dem Kuss, der Werners Welt zerstört hatte.
"Ich kann nicht wählen," sagte er schließlich, ohne sich umzudrehen. "Ist unmöglich zu wählen."
"Dann wähle ich," sagte Werner. Die Worte kamen aus einem tiefen, dunklen Ort in ihm, den er nicht kannte. "Du gehst. Jetzt. Mit ihm. Aber dann ist es vorbei. Dann gibt es kein Zurück."
Phao drehte sich um, Tränen in den Augen. "Werner..."
"Nein. Du wolltest ehrlich sein? Dann sei ehrlich. Geh mit ihm. Sieh, wie lange deine große Liebe hält, wenn dein Aufenthaltstitel nicht verlängert wird."
Max trat vor, beschützend vor Phao. "Sie sind ein Arschloch."
"Vielleicht," sagte Werner ruhig. "Aber ich bin ein Arschloch mit deutschen Papieren und einem gültigen Ehevertrag."
Die drei Männer standen sich in dem kleinen Wohnzimmer gegenüber, jeder gefangen in seiner eigenen Verzweiflung. Werner sah die Liebe zwischen Max und Phao, spürte seine eigene Einsamkeit, verstand die Unmöglichkeit der Situation.
"Ich gehe," sagte Phao schließlich. "Für heute. Ich brauche Zeit zum Denken."
Er ging zur Tür, Max folgte ihm. An der Schwelle drehte sich Phao noch einmal um.
"Werner," sagte er leise. "Es tut mir leid. Für alles."
Dann waren sie weg, und Werner blieb allein zurück in seinem ordentlichen kleinen Reihenhaus, umgeben von den Überresten seiner zerbrochenen Ehe.
Draußen wurde es dunkel, aber Werner machte kein Licht an. Er saß in der Dunkelheit und dachte an alles, was gewesen war, und alles, was nie sein würde.
"MIA," flüsterte er in die Stille. "Meiner ist anders."
Aber diesmal wusste er, dass es eine Lüge war. Seine Geschichte war wie alle anderen auch – die Geschichte eines älteren Mannes, der die Jugend geliebt und verloren hatte.
Die Frage war nur: War es vorbei? Oder gab es noch einen Weg zurück aus dieser Dunkelheit?
Die Antwort würde kommen. Aber nicht heute Nacht.