Sonntag, der 20.2.2011
Jetzt ist es 9 Uhr Abends. Das Thermometer draussen funkt 8 C auf meine Innenstation. Tagsüber war es auch nicht viel wärmer. Was voriges Jahr schon hellgrün leuchtete, versteckt sich immer noch in den braunen geschlossenen Knospen. Wenn das mal gut geht. Aber was interessiert mich das Wetter draussen? Hier drinnen in meiner anheimelnden Bude in der Schweizer Nordprovinz und meiner neuen Errungenschaft, der BOSCH TASSIMO Kaffee- Tee- und Kakao-Maschine ist das doch völlig egal.
Mein Magen grummelt. Habe heute alle Sorten von den Tassimokapseln mal durchprobiert und dabei ganz den Alkohol vergessen. Mein lieber Schwan. Diese Maschine kann in die Trockensucht führen. Wehret den Anfängen.
In einem Anflug von Vernunft erinnerte ich mich an eine noch zu bewältigende Aufgabe. Am 31.3. ist letzter Abgabetermin für die Steuererklärung 2010. Bei meiner schlampigen Ordnung der relevanten Papiere und Unterlagen brauchte ich mir nicht lange den Kopf zu zerbrechen, wo ich die denn eingeordnet hatte. Nein. Ich begab mich einfach auf eine unsystematische Suche. Die ist in solchen Fällen am erfolgsversprechenden. Wer unsystematisch ablegt, findet am Besten nach dem Zufallsprinzip. Ist doch klar.
Vorher aber noch iTunes angeworfen und meine Lieblings-Playlist angeklickt. Classic Rock. Die Dinger sind sowieso zeitlos. Und Zeit habe ich nicht mehr so viel, wie früher. Zeit vergeht zwar mit fortschreitendem Alter schneller, aber meine Methode, mir dann einfach etwas mehr Zeit zu nehmen, hat bisher immer gut funktioniert.
Bei „Paranoid“ von Black Sabbath begab ich mich auf die Suche. Nach einiger Zeit wurde ich in einem Regal in einem Stapel Papier und Reklame fündig, den ich vor einer Woche im Ordnungswahn weggeräumt hatte, damit er nicht mehr als Blickfang wirkt. Diesen Stapel hatte ich in Reihenfolge der reinkommenden Post einfach aufgetürmt. Das war mir total entfallen, da ich das schon instinktiv ohne nachzudenken tue, nachdem ich die Schriftstücke überflogen habe. Ein zweiter Stapel auf dem Tisch nahm schon Höhe an. Der wird ein andermal versteckt. Die Briefumschläge hatte ich schon entsorgt. Mittlerweile war iTunes bei „Whiskey in a Jar“ von Thin Lizzy, aber ich warf meine BOSCH Tassimo zum zigsten Male heute an.
Ich ging den Stapel Blatt für Blatt durch. Und wie sollte es anders sein? Die Post meinte es gut mit mir. Sie hatte in weiser Vorraussicht alles nötige umsonst geliefert. Den Lohnausweis und alle möglichen Beiblätter zum Lohnausweis wie da sind: Einzahlungen in die 3.Säule bei meiner Bank, Treuhänderauskunft über meine Einkünfte durch Firmenaktien, Stand der Kapitalversicherung, Studiennachweis meiner Tochter, Bankauszüge für die Überweisung ihrer Unterstützung und dergleichen. Ich wusste es, mein System ist unschlagbar. Man braucht sich nur auf die Post zu verlassen.
Insgeheim überlegte ich mir, ob ich diese Stapel nicht mit einem Schild versehe: Post von - bis. Aber das wäre viel zu aufwendig. Ausserdem, wenn meine Putzfrau die Schilder wegräumen würde, weil sie dann auf dem Deckblatt bequemer staubwischen kann, fände ich gar nichts mehr wieder. Auch sie als Thai hat einen unberechenbaren Ordnungsfimmel. Da befinden sich nach ihrem Putztag womöglich die Schilder schön geordnet an einem Platz und die Stapel woanders. Nee, nee. Das riskiere ich nicht.
„Whole Lotta love“ von Led Zeppelin wummerte mit seinen Bässen. Da kommen Erinnerungen auf. An die Feten zu Schülerzeiten, wenn die reichen Eltern so mancher Kameraden auf Urlaub waren und wir deren Villa samt Swimming Pool auseinander nahmen, durch alle Schlafzimmer schnakselten (damals noch schüchtern zu zweit), die gesamte Hütte mit THC-Düften verpesteten und das Altbier in Strömen floss.
Meine Putzfrau soll sich nur nichts darauf einbilden, dass ich im Zusammenhang mit ihr ans Schnakseln denke. Eine einmal geschnakselte Putzfrau ist nichts mehr wert. Die wechselt sofort ihren Beruf. Wird zur Madam. Mit Saubermachen iss dann nichts mehr. Das musste ich leider mehrmals erfahren. Ihre bisherige konstante Liebe zu ihrem jetzigen Beruf werde ich mir wegen geiler Schülererinnerungen nicht vermasseln. Irgendwann muss man ja mal anfangen, aus Erfahrungen zu lernen. Wer das erst mit der Todeserfahrung macht, hat kaum noch Zeit, daraus zu lernen.
Gedanklich leicht angedröhnt machte ich mich an die Teilung des Stapels. Der nächste Song: „Purple Haze“ von Jimi Hendrix, konnte meine systematische Arbeit am Ruhetag des Herrn nicht mehr verwirren. Die Klassenaufsätze im Fach Deutsch hatten wir ja schliesslich auch strukturiert mit Einleitung, Haupteil und Nachgesang trotz einer „geladenen“ Zigarette in der grossen Pause hinter uns gebracht. Nun ja, die ein oder andere Klassenarbeit hat unser Herr Oberstudienrat dann trocken zurückgehen und wiederholen lassen. Meist mit den Worten:“ Wegen stoned der meisten Klassenmitglieder leider nicht beurteilbar.“ Die haben nämlich vor lauter hochtrabender Phantasie seinen geistigen Horizont überfordert. Auch Oberstudienräte sind nur Menschen.
Die unrelevanten Blätter links, die steuerrelevanten rechts. Binäres System. Damit kenne ich mich schon rein beruflich aus und ich war mal wieder stolz auf mich, dass ich sogar in der Lage bin, berufliche Erfahrungen im Alltag zu meinem Vorteil anzuwenden. Nennt man das Intelligenz? Ich halte das eher für hochbegabt.
Bei „The Zoo“ von den Scorpions schaltete ich schliesslich meinen 2. PC ein, legte die „Easy Tax“ CD rein und bald erschienen die ersten höflichen Fragen auf dem Bildschirm.
„Möchten sie die aktuellen Aktienkurse laden?“ Ja
„Möchten sie in der Zwischenzeit eventuell geänderte Steuervorschriften laden?“ Ja
„Möchten sie ihre Steuerdatei vom letzten Jahr laden?“ aber Ja doch
Die macht nämlich das Ganze besonders einfach. Man braucht dann fast nur noch die Einkommenszahlen in den schon vorhanden Rubriken ändern und fertig. Wenn keine neuen Vermögensquellen hinzugekommen sind, wie z.B.Zuhälterei mit Thaigirls in Zürich, eine leichte Übung. Gedanklich bedanke ich mich beim Schweizer Finanzamt meiner Stadt, wo die „Easy TAX“ CD seit Anfang Februar auslag. Kundenfreundlich nennt man sowas. Überhaupt, das Finanzamt meiner Aufenthaltsstadt ist äusserst Service orientiert. Dort ist man Kunde. Und ich weiss auch, dass ich den Termin 31.3. nicht unbedingt einhalten muss. Aber das ginge gegen meine Ehre. „She’s a Beauty“ von The Tubes warnte mich in dem Augenblick gerade: „Don’t Fall in Love“.
...aber ja doch hatte ich gerade mit der Easy Tax CD im Schlitz geantwortet. Leicht dahergesagt. Wo ist diese verdammte Datei nur? Ist ja schliesslich schon ein Jahr her. Wenn ich die nicht mal umgeräumt habe? Dateien in bestimmten Ordnern zwecks Ordnung zu verstecken, ist ein Hobby von mir, während meiner sporadischen Ordnungsanfälle. Und dann sah ich die erlösende Frage:
„Möchten sie die Datei suchen?“ klar doch
„Auf welchen Laufwerken? Alle? Ja, das wird wohl das Beste sein.
„Suche erfolglos“ ach du schei....
„Smoke on the Water“ von den Deep Purple im stetig voranschreitenden iTunes bekam für mich plötzlich einen anderen Sinn. Der Song entstand am Genfer See, als während eines Konzertes von Frank Zappa im Casino von Montreux der Saal abrannte und die Rauchwolke über den See trieb. Gottseidank kam niemand zu schaden.
Da fiel mein Blick auf ein ausrangiertes USB Kabel unter mir auf meinem Zweit-PC. Gut, dass sich meine Putzfrau dessen noch nicht angenommen hatte. Glück gehabt. Da war doch noch was? Oh ja, da hing mal eine externe Disk dran. Und wo ist die jetzt? Hab ich wohl in einem Ordnungsanfall irgendwo versteckt. So alle 6 Wochen hasse ich herumliegende Sachen, besonders, wenn die noch nicht mal angeschlossen sind. Oh Mann! Da mir schon einige externe Hard Drives über den Jordan gegangen sind, wusste ich, dass ich sie irgendwo weich gebettet hatte. Im Bett oder unter dem Kopfkissen auf’m Sofa garantiert nicht. So soft mitfühlend mit Hardware bin ich nu auch wieder nicht. Wo ist das verdammte Ding nur? „Rock of Ages“ von Def Leppard scheint mir was sagen zu wollen. Wenn alte Rockmusik genauso vergesslich ist, wie ich, werde ich wohl doch noch auf „House“, „Dance Floor“ und „Hip Hop“ umsatteln müssen. Das soll ja gedächtnisschulend sein.
Wo gibt es in meiner Wohnung noch was Weiches, was vielleicht auch noch entfernt was mit Computern zu tun hat? Das war in dem Moment die Frage aller Fragen. Mein Blick fiel auf die Fächer unter meinem Übereck-PC-Tisch. Da liegen die PC-Welt Magazine und andere fein säuberlich gestapelt, weil ich die nach Erhalt durch die Post sowieso nur auf dem Klo durchblätter. Der Anblick des fein säuberlich geordneten Stapels gibt mir aber das Gefühl, meinen PC voll im Griff zu haben. Trotzdem erinnerte er mich mal wieder daran, dass ich die PC-Welt abbestellen sollte. Sollte etwa...? Tatsächlich. Einsam und verlassen ruhte die kleine Kiste weich gebettet auf den Magazinen. Da soll mal einer sagen, ich mache sowas gedankenlos. Ihr Anblick und „Rock On“ von David Essex versöhnten mich wieder mit der Welt.
Also das Ding rangehängt, den Laufwerkbuchstaben als „M“ identifiziert und noch mal meine „Easy TAX“ suchen lassen. Bingo. Gefunden. Ab dann war alles nur noch eine leichte Übung. Ein paar Zahlen eingetippt und fertig.
„Endgültige Steuerklärung drucken? Yes, Sir.
Und schon fing mein HP Laserjet leise an zu tuscheln. Die Papiere mussten nur noch händisch abgezeichnet werden. Von „Ich schwöre bei Gott und den Eidgenossen“ war glücklicherweise nicht die Rede. Da kriege ich sonst immer einen leisen Schauer. Bin nämlich abergläubig. „Shaking all over“ von Guess Who läuft da gerade ganz umsonst. Erinnert mich eher an Lord Uli aus Berlin von der Band „The Lords“. Die langhaarigen, geschminkten Lords haben mit dem Ding vor langer Zeit ihren Durchbruch als erste Beat Band in Deutschland erlebt. Es war meine allererstes Beat-Konzert, das ich je besucht habe. In der Stadthalle meiner Heimatstadt. Mann, was haben die Jungs abgerockt. Am nächsten Tag habe ich mir eine elektrische Guitarre von meinen Eltern gewünscht. Mit sonem Ding konnte man womöglich alle Weiber aufreissen. War zwar erst 14, aber ich wusste, dass da kommen wird, was kommen musste.
Nun ist es fast Mitternacht. Bei „Two Minutes to Midnight“ von Iron Maiden. Bin endlich fertig mit diesem Tagebucheintrag. Morgen am Montag werde ich mich cool zu meinem Finanzamt begeben und mit dem Gefühl eines erfolgreich gemeisterten Sonntags, an dem ich nämlich alles gefunden hatte, was ich brauchte, die Unterlagen persönlich abgeben.
Die Dame hinter dem Schalter wird lächeln. Wer Steuern in der Schweiz bezahlt ist Kunde. Ein gern gesehener Gast. Und wer zu spät kommt, wird wie von einem Wirt hinter der Theke willkommen geheissen und mit einem dankbaren Lächeln begrüsst, anstatt Lokalverbot zu bekommen. Die Schweizer lieben ihre Steuerzahler, selbst wenn sie zu spät kommen.
Noch einen schönen Tag, ihr lieben Forenkollegen.