Ich betrete das Badezimmer, Messer in der Rechten, während ich den linken Arm wie beim Boxen im 70 Gard Winkel schützend vor den Kopf halte, sollte der Bastard mir die Tür in die Fresse knallen wollen.
Keiner da.
Dann reisse ich den Duschvorhang beseite, bereit zuzustechen, aber auch niemand zu sehen.
Oh Mann, alles nur eingebildet?
Ich lege das Messer zur Seite und betrachte mich im Spiegel. Ich sehe völlig fertig aus, fahle Gesichtsfarbe, alkoholgerötete Wangen, sildenafilgerötete Lippen, rotgeheulte blutunterlaufene Augen und Augenringe wie Autoreifen.
Egal, wie heißt es so schön? "Ich kenn Dich nicht, aber ich wasch Dich trotzdem."
Ich lasse das Wasser im Waschbecken an und halte meinen pochenden Schädel darunter; das kalte Wasser tut gut.
"Naa, hatten wir unseren Spaß mit der kleinen Schlampe?"
Ich schrecke hoch, schlage mir dabei sogar etwas den Kopf am Wasserhahn und dann läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter.
Leute, mal ganz im ernst.
Ich habe immer gedacht, daß ich mit beiden Beinen fest im Leben stehe und alles Übernatürliche halte ich nach wie vor für Humbug.
Ebenso neige ich nicht zu schizoiden Anwandlungen. Gut, wenn mich etwas sehr beschäftigt, dann denke ich schon mal laut, wäge das für oder wider laut ab. Oder wenn ich Mist gebaut habe, schelte ich mich schonmal selber vor dem Spiegel. Aber Selbstgespräche??
Nicht mein Ding, noch nie gewesen.
Ich kann mir das folgende nur dadurch erklären, daß ich psychisch und physisch am Ende war; die Hitze, zweimal abgespritzt (Massage plus Lolitas), der Stress mit Werner, der viele Alkohol, die Faszination von DAO, die Sildenafil, ihr psychischer Zusammenbruch, der überirdische Sex (zweimal), meine emotionelle Berg- und Talfahrt, der Schlafentzug - DAS war einfach zuviel.
Aber in diese Augenblick erfasste mich die nackte Angst, denn der Typ im Spiegel war jemand anders.
Gut, er sah so aus wie ich, aber etwas war vollkommen falsch: Während ich mich nur fertig und emotionell aufgewühlt fühlte, blickte er nur arrogant grinsend drein und musterte mich mitleidig.
Und obwohl sich seine Lippen nicht bewegten, HÖRTE ich seine Stimme.
Ich habe ja eine recht tiefe Stimme, aber seine war noch tiefer, melodisch, selbstbewußt, überzeugend, arrogant, fast so wie der Perserkönig in der englischen Originalfassung von "300".
"Ihr beide wart ja so süüüüß, Du und die kleine Fffffotze." (das letzte Wort sprach er fast haßerfüllt aus).
"Sag mal, habt ihr beim Heulen getrennte Taschentücher benutzt oder beide ins selbe gerotzt? WIDERLICH!" (wieder verzerrte sich sein Gesicht haßerfüllt)
"Mein Gott!" stammelte ich in meiner Panik, wobei ich dabei wirklich sprach.
"Na, DEN wollen wir mal lieber aus dem Spiel lassen, nicht wahr?" (jetzt klang er wieder überheblich und melodisch)
"Wer bist Du?"
"Na das weißt Du doch schon längst, mein Lieber, oder?"
Allmählich gewann ich meine Fassung zurück, denn DAS konnte doch gar nicht wahr sein. Egal, hat mir halt einer etwas in die Drinks getan, dachte ich, und jetzt habe ich Halos; na, dann spiel ich einfach mal mit.
"Willst Du behaupten, Du bist der Leibhaftige? Hm, ich sehe weder Hörnchen, Schwanz oder Ziegenbeine." spotte ich
"Jetzt gefällst Du mir schon etwas besser. Der alte arrogante Spott kommt langsam zurück. Gut! Guuut!
Seit die Menschen ihre Beziehungen zur Natur verloren haben, sind Hörner, Schwanz und - übrigens nicht Ziegen- sondern Pferdefüße - sowas von out! Fast so wie Dein schwules Dieter Bohlen Hemd."
Ich werde etwas wütend. "Verpiß Dich!"
"Besser, jetzt steigt sogar etwas Zorn in ihm auf, Vieeeel besser! Du bist ja so süüüüß, wenn Du Dich ärgerst."
"Wer ist jetzt hier schwul?"
"Herrlich, und seine Schlagfertigkeit kommt auch zurück. Weiter so!"
"Ok, es reicht, was willst Du?"
Er blickt mich plötzlich wieder todernst an und seine Stimme klingt plötzlich wie das kleine besessene Mädchen aus "Exorzist 1"
"Was ich will? WAS ICH WILL?? Dich fragen, was das eben für eine Scheißvorstellung da drinnen war, mit Deiner kleinen Fotze."
"Nenn sie nicht so, Du Arschloch! Tassanee ist eine tolle Frau, einfach unglaublich."
"DAS sind sie am Anfang doch alle. ALLE!! Und dann, wenn die Endorphine und sonstigen Hormone aufgebraucht sind, geht der Alltag los und mit ihm die Probleme. Hast Du das je anders erlebt oder beobachtet??
Und dann hast Du die Schlampe an der Backe und aus ist es mit den vielen geilen Erlebnissen in der Soi 6 oder anderswo, oder meinst Du die Fotze läßt Dich einfach so weiter deinen Spaß haben??"
Und dann spreche ich den Satz aus, den ich noch wenige Stunden zuvor nicht für möglich gehalten hätte:
"Tassanee ist es wert, auf das alles zu verzichten. Ich ..... ich ..... ich glaube, ich liebe sie."
Sein Gesicht verzerrt sich wieder aus Zorn und Entsetzen zugleich.
"Oh nein, oh neeeeiiin! Sooo einfach geht das nicht. Sooo einfach kommst Du aus der Nummer nicht raus, mein Lieber. Du hast all die vielen Jahre jede Menge Spaß gehabt!
Was meinst Du warum?
Weil Iiiiich auf Dich aufgepaßt habe.
Weil iiich immer bei Dir war.
DU hast mich in Dein Leben geholt. Duuuuuu!
Dachtest Du, das war für umsonst???
Dachtest Du, es gibt auf dieser Welt irgend etwas für umsonst???
Oh nein, mein Lieber!
DAS hatte seinen Preis."
Ich unterbreche mit sarkastischem Unterton seinen Redeschwall: "Und als nächstes erzählst Du mir, daß ich Dir meine Seele verkauft habe, ja?"
"Nein, aber den bedingungslosen Verzicht auf wahre Liebe, auf echte menschliche Wärme, auf echte zwischenmenschliche Beziehungen, die auf Liebe, Zuneigung und Vertrauen beruhen und nicht auf Geld.
DAS war der Preis für all den oberflächlichen Spaß und die profane Triebbefriedigung.
Und den hast Du jahrelang bezahlt. Du und alle Deine nicht minder beziehungsunfähigen Kumpel, mit denen Du Dich immer irgendwo in Pattaya triffst, wo ihr euch mit eurem oberflächlichen alkoholvernebelten Humor gegenseitig vormacht, wie cool und glücklich ihr doch alle seid und wie gut es euch doch geht.
DAS war der Deal!
Und ihr seid ALLE darauf eingegangen. ALLE!"
Ich habe langsam die Schnauze voll.
Plötzlich klopft Tassanee an die Badezimmertür und fragt mit ängstlicher Stimme:
"Alles OK? Mit wem sprichst Du?"
"Ich habe nur laut gedacht, Liebling, geh bitte wieder ins Bett, ich bin gleich bei Dir."
"Bist Du sicher? Ich habe deutlich Stimmen gehört."
"Bitte geh ins Bett, ich komme sofort."
Dann wende ich mich mit leiser Stimme an meinen "Gesprächspartner":
"Paß auf Alter, mir ist schon klar, was hier fürn Film abläuft. Ich hatte ne Menge physischen und psychischen Stress plus Alkohol und Schlafentzug und jetzt geben sich meine Vernunfstgehirnhälfte und meine Emotionsgehirnhälfte ein Stelldichein. Macht ruhig weiter Jungs, aber bitte ohne mich, denn ich bin todmüde und gehe jetzt zu meiner Tassanee."
"OK, meinetwegen, aber eins noch."
"Also gut, aber bitte mach schnell."
"Junge, Du kennst Dich. Wenn Du normal wärst, hättest Du nie Dein Leben danach ausgerichtet, in Thailand zu leben. Die liebst das einfach auf Jagd zu gehen, immer wieder neues junges Frischfleisch zu erbeuten, es zu verführen, diesen Augenblick des Sieges zu geniessen, wenn sie endlich unter Dir liegen und Du Deinen harten Knüppel in sie schiebst.
DARAUF wirst Du nie verzichten wollen. NIE! Dafür kenne ich Dich zu gut."
"Das .... Das kann ich mit Tassanee auch haben" sage ich mit zunehmender Unsicherheit.
"Ja, sicher, aber eines kann Dir keine Frau der Welt bieten. Den Reiz des ewig Neuen!
Schau sie Dir an. Klar, sie sieht umwerfend aus. Wie alt ist sie jetzt? 34? In 6 Jahren ist sie 40! Und selbst, wenn sie dann noch knackig ist; IRGENDWANN brauchst Du wieder etwas Neues, etwas Junges, etwas Frisches.
Und spätestens DANN wirst Du ihr furchtbar wehtun.
Tu ihr das nicht an; das hat sie nicht verdient. Ohne Dich hat sie vielleicht die Chance, einen netten Partner zu finden, der nicht so gestrickt ist wie Du."
Ich habe einen Klos im Hals, schwanke aber noch "Verdammt!"
"Jaaaa, ich liebe diese Wort!
Komm Alter, schau Dich an! Du siehst für Dein Alter noch recht gut aus. Du bist gesund und die Nudel funktioniert bestens. Du hast mehr Geld als Du jemals vervögeln kannst. Du bist charmant und humorvoll UND sprichst auch noch deren Sprache fließend.
Du könntest JEDE haben, die Du willst. J E D E !! Warum eine Frau unglücklich machen, wenn Du doch soooo viele glücklich machen kannst?"
"Oh Mann" sage ich, während in mir die furchtbare Erkenntnis reift, daß "ER" gewonnen hat.
"Du weißt, was Du zu tun hast?"
"Ja, verdammt!"
"Guuuuter Junge"
Und während ich das Bad verlasse, läuft es mir erneut kalt den Rücken runter, denn ich könnte schwören, daß ich aus dem Augenwinkel sehe, wie mein Spiegelbild mir diabolisch lächelnd nachblickt (was physikalisch überhaupt nicht möglich ist) und leise den gleichen Satz sagt, wie einst Al Pacino in "Im Auftrag des Teufels":
"Eitelkeit ist doch meine Lieblingssünde."
Für das, was jetzt kommt, werde ich mich wohl für den Rest meines Lebens hassen.
Wird fortgesetzt