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Andere Griechenland 1989: Eine knallharte Verhandlung – da springt sogar Hemingway aus dem Grab.

Klimbim

Schreibwütig
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24 November 2024
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Vorwort:

Derzeit arbeite ich an einem Reisebericht aus dem Jahr 2011 (Pattaya) – eine persönliche Rückschau, die einigen Lesern, so wurde mir angedeutet, nicht gänzlich missfällt. Hier auch zu finden. Ich neige dazu, dieses wohlwollende Echo eher dem Umstand zuzuschreiben, dass sich manche mit der Thematik identifizieren können – weniger zwingend mit meinem Stil, meiner Sprache oder gar mit meiner Person.

"Wenn der Winter zu laut wird" - 2011, meine erste Reise nach Pattaya | Pattaya - Thailand - Asien Forum

Um dieser kleinen Theorie auf den Grund zu gehen, möchte ich hier einen gänzlich anders gelagerten Text vorstellen – ebenfalls ein Reisebericht, aber thematisch auf einem ganz anderen Gleis unterwegs.

Mich interessiert dabei vor allem eines: Ist es in erster Linie das Thema, das den Leser fesselt? Oder spielt die Art der Darstellung eine ebenso gewichtige Rolle? Kurz: Wie viel macht der Inhalt aus, wie viel die Form?

Wenn ihr mir dabei ein wenig Rückmeldung geben mögt, wäre das für mich ein Gewinn. Und falls dieser kleine Ausflug auf eurer Seite eher zu ermüdender Gleichgültigkeit führt – nun, das wäre dann eben auch eine Erkenntnis.

In diesem Sinne: viel Vergnügen – oder zumindest ein gewisses Maß an geduldiger Lektüretoleranz.


GRIECHENLAND 1989

Ein Flashback im Kopf und eine Gerichtsverhandlung, 1989 (verfasst vor etwa einem Jahr in Griechenland)


Gestern fuhren wir an der Westküste Kretas entlang. In Paleochora machten wir Halt – ein Ort, den man ohne Weiteres übersehen könnte. Ich war schon einmal dort, 1989. Damals in Begleitung eines Franzosen sizilianischer Herkunft. Ziemlich durchgeknallt.

Er knatterte nachts stundenlang mit seinem Motorrad über den Strand, als gäbe es kein Morgen. Direkt am Haus des Präsidenten vorbei (seiner Sommerresidenz), wie wir später erfuhren. Ich bat ihn, den Lärm sein zu lassen – es war unerträglich. Aber er war betrunken, stolz auf seinen Stil und völlig uneinsichtig.

Ich ärgerte mich. Sehr.

Am nächsten Morgen, ich war gerade unter der öffentlichen Dusche, wurde er von zwei Polizisten abgeführt. Er hatte einfach nur am Strand gesessen.

Die offizielle Begründung: obszöne Gesten gegenüber den Töchtern des Präsidenten. Ich habe weder Töchter gesehen noch glaubte ich je daran. Trotzdem – 500 Mark Strafe, zwei Tage im Knast.

Das Ganze wurde in einem Provinzgericht in Chania verhandelt. Ich war dabei. Und durfte sogar für ihn sprechen.
Ich sagte, Griechenland sei ein Rechtsstaat. Man könne nur für das bestraft werden, was einem konkret zur Last gelegt werde. Ersatzanklagen für nicht begangene Taten?

Das stehe einem zivilisierten Land nicht gut zu Gesicht.

Ich war noch Student. Kein Jurist. Aber ich versuchte es. Und sprach Französisch – der Angeklagte hatte einen Dolmetscher bekommen. Die Anklage lautete: Erregung öffentlichen Ärgernisses durch das Zeigen sexueller Handlungen.

Vielleicht in Tateinheit mit Beleidigung. Vielleicht auch nicht.

Ich sagte sinngemäß:

„Der junge Mann mit schwachen Manieren hat die Leute um den Schlaf gebracht – mit seinem idiotischen Gehabe und diesem höllischen Motorrad.

Aber Sie, Herr Vorsitzender, kommen aus einem Land, in dem nächtlicher Lärm kein Drama ist. Seien wir ehrlich: hier wird bis morgens Hochzeit gefeiert, mit Blechbläsern und Gewehrsalven.

Man kann diesen Irren schwerlich mit voller Härte belangen – auch wenn sein Auftritt unerträglich war. In meinem Land hätte man ihn wegen Ruhestörung angezeigt. Das Nacktbaden hätte man vielleicht mit einem freundlichen Hinweis beendet. Peanuts.

Aber hier? Hier ist das eine ernste Sache. Nur: Er hat es nicht getan. Die angeblich obszönen Gesten – wer soll das bezeugen? Die Polizei? Am Strand, bei Nacht? Haben sie etwa Fotos gemacht? Ich glaube es nicht. Und Sie?

Geben Sie ihm eine milde Strafe wegen Ruhestörung. Korrigieren Sie die Anklage, wenn Sie mögen. Es braucht keine Vernehmung der Polizisten. Glaubwürdig sind sie ohnehin nicht.

Lassen Sie ihn bezahlen – aber nicht mit Monaten Gefängnis. Dafür ist Ihre Demokratie zu kostbar und Ihr Rechtsstaat zu klug.“

Der Richter hörte zu. Ich war jung. Unerschrocken. Vielleicht naiv. Aber ich sprach, wie ich dachte.

Er lächelte kurz, wachte aus seiner inneren Siesta auf und schickte die schwitzenden Polizisten aus dem Saal. Der Staatsanwalt – was für ein Personalaufwand für einen Strand-Irren – leerte sein Glas Wasser in einem Zug. Seine Gesichtszüge, umrahmt von Schweiß, machten den Eindruck eines Mannes, der innerlich längst gekündigt hatte.

Die fetten Stubenfliegen drehten müde ihre Kreise. Der klapprige Ventilator an der Decke wirkte, als würde er sich jeden Moment lösen und auf mich stürzen.

Dann sagte der Richter:

„Bei diesem Wetter sollte man lieber schwimmen und dann feiern. Aber nicht in der Nacht. Und besser nicht an diesem Strand. Einverstanden?“

Kurzes Schweigen. Dann das Urteil. Keine Beratung – er war Einzelrichter. Vielleicht beriet er sich mit sich selbst.

500 D-Mark in Drachmen. Oder zwei Wochen Gefängnis.

Der Idiot zahlte. Und die Sache war durch.

Er begriff nicht, was da gerade an ihm vorbeigeschrammt war.

Ich fand das Ganze hochinteressant. Und habe mir gestern noch einmal das Gerichtsgebäude angesehen. Venezianischer Stil. Sehr hübsch. Wirklich sehr hübsch.

In keinem Reiseführer verzeichnet.

Warum eigentlich nicht?

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Zuletzt bearbeitet:

NOMAAM

Schreibwütig
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19 November 2023
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Saarland
Mich interessiert dabei vor allem eines: Ist es in erster Linie das Thema, das den Leser fesselt? Oder spielt die Art der Darstellung eine ebenso gewichtige Rolle? Kurz: Wie viel macht der Inhalt aus, wie viel die Form?

Ich versuche mich mal an einer Antwort, natürlich nur aus meiner persönlichen Sicht - andere mögen das sicherlich ganz anders sehen. Und da du in deinen Beiträgen ganz gerne auch etwas weiter ausholst, nehme ich mir dieses Recht jetzt ebenfalls heraus ;).

Um es gleich zu Beginn zu betonen: Das ist keinesfalls als "Abrechnung" mit deiner Art zu schreiben gemeint (die möchte ich tatsächlich gar nicht kritisieren, da sie mir gut gefällt), sondern als eine generelle Analyse, was für mich einen "guten" Text ausmacht.

Ganz grundsätzlich gibt es wohl nur 2 Gründe, warum überhaupt jemand irgendetwas liest (egal, um welche Art von Text es sich handelt): Um sich Informationen zu einem Thema zu beschaffen (Grund 1) oder weil er unterhalten werden möchte (Grund 2) - Kombinationen aus beidem sind natürlich auch möglich. Bei einem typischen Text (Nachrichten, firmeninterne Kommunikation, Vertrag, E-Mail von einem Kunden, etc.) im alltäglichen Leben steht Grund 1 im Vordergrund, bei einem Roman (oder sonstigen fiktiven Texten) ist es Grund 2. Reiseberichte fallen grundsätzlich dazwischen, da sie sowohl Informationen bieten (sollten sie zumindest, manche sind auch einfach zu oberflächlich dafür), als auch Unterhaltung - letzteres aber nur, wenn sie "gut" geschrieben sind.

Was aber heißt "gut" geschrieben? Hier gibt es - zumindest für mich - mehrere Bewertungskriterien: (Anmerkung: Ich beziehe mich hierbei nicht nur auf Reiseberichte, sondern auf Texte generell.)
  • Der Text sollte einem "roten Faden" folgen, d.h. es sollte klar erkennbar sein, worauf der Autor eigentlich hinaus will. Das bedeutet nicht unbedingt eine chronologische Abfolge der Ereignisse, aber wenn derart wild zwischen verschiedenen Tagen und Themen hin- und hergesprungen wird, dass nicht mehr nachvollziehbar ist, worum es überhaupt geht, dann entsteht bei mir schnell Frustration.
  • Das Schriftstück sollte lesbar geschrieben sein, das bedeutet zunächst einmal das ausreichende Vorhandensein von Absätzen: Eine "Wall of Text" mag für eine maschinelle Verarbeitung akzeptabel sein, für einen menschlichen Leser ist sie es nicht. Die Anwendung der Regeln zu Rechtschreibung und Grammatik sollte zumindest größtenteils erkennbar sein - einzelne Ausrutscher kann ich noch problemlos tolerieren (auch, wenn mir z.B. manche falsche Schreibweisen tatsächlich fast schon weh tun beim Lesen), aber wenn der gesamte Text eine einzige "Wortkotze" ist, die so aussieht, als hätte jemand den Duden durch einen Reißwolf gejagt und die daraus entstehenden Schnipsel willkürlich wieder zusammen geklebt, dann hört für mich der Spaß auf. Oder um es etwas deutlicher auszudrücken: Das ist für mich fast schon eine Beleidigung der (potentiellen) Leserschaft, denn es vermittelt den Eindruck, dass seine Adressaten es dem Autor nicht wert sind, den verfassten Text wenigstens noch einmal gründlich gegenzulesen, um die schlimmsten (unabsichtlichen) "Stilblüten" zu finden und zu korrigieren.
  • Sind Bilder/Fotos notwendig? Aus meiner Sicht nicht unbedingt. Es heißt zwar "ein Bild sagt mehr als 1000 Worte", aber das kann sogar nach hinten losgehen: Eine ausschließlich textuelle Beschreibung z.B. eines Orts lässt Raum für Fantasie, sie lässt ein Bild im Kopf des Lesers entstehen (so "könnte" es dort aussehen) - wohingegen ein Foto dieses Orts eine Tatsache schafft: So (und nicht anders) sieht es dort aus. Das ist natürlich keinesfalls als Aufruf gedacht, zukünftig nur noch unscharfe, detailarme und nichtssagende Fotos zu verwenden - weil das wird (fast) immer wie ein Fremdkörper aussehen. Ich persönlich mag es gerne, wenn schöne Fotos (ist natürlich auch wieder subjektiv) einen gut geschriebenen Text ergänzen, sehe es aber keinesfalls als Musskriterium an.
  • Und der wichtigste Aspekt (ebenso der schwierigste aus Sicht eines Autors): Ein Text muss mitreißend sein, Neugier schaffen - er muss das Verlangen erwecken, weiterlesen zu wollen. Woran kann man das festmachen? Ein "guter" Autor kann sogar aus der Beschreibung einer 08/15 Einkaufstour im Supermarkt (die vermutlich so gut wie jeder auch schon selbst "erlebt" hat) ein fesselndes Lesevergnügen machen. Anders herum schaffen es viele sog. Influencer hingegen, aus einem Besuch an einem tollen Ort (den man noch nicht mit eigenen Augen gesehen hat, aber unbedingt auch mal selbst besuchen möchte) mittels dämlicher Selfies und ebenso dämlicher begleitender Beschreibungen eine Art von "Reisebericht" zu generieren, den man einfach nur noch wegklicken möchte.

Bei einem Text, den man lesen muss (aufgrund seiner Wichtigkeit fürs Berufs- oder Privatleben) sind die oben genannten Kriterien optional (aber natürlich trotzdem gerne gesehen) - bei einem Text hingegen, den man ausschließlich aus Interesse lesen möchte, sind sie (zumindest für mich) hingegen ein absolutes Muss.

Aber genug der Theorie, also warum lese ich den Bericht über deine Griechenland-Reise aus dem Jahr 1989?
  • Informationsbeschaffung: Nicht relevant, denn ich plane in nächster Zeit keine Reise nach Griechenland (zumal fraglich wäre, inwiefern 36 Jahre alte Infos hierbei überhaupt noch hilfreich sein könnten) und habe auch generell kein besonderes Interesse an dem Land.
  • Gute Unterhaltung: Genau die verspreche ich mir von deinem Bericht - und da du meine zuvor aufgeführten Kriterien voll erfüllst, bleibe ich hier auch gerne dabei und freue mich auf deine weiteren Beiträge :).

Noch ein kurzer inhaltlicher Kommentar zu der Geschichte mit der Gerichtsverhandlung: Ich finde das Ergebnis (ein paar Tage im Knast und eine dicke Geldstrafe) genau richtig als Bestrafung für das dämliche Verhalten deines Begleiters - eine längere Gefängnisstrafe (zumal aufgrund der konstruierten Anschuldigungen) wäre hier einfach nicht angemessen gewesen. Aber dir ist doch sicherlich klar, dass dein couragiertes Plädoyer auch böse nach hinten hätte losgehen können? So aus Sicht des Richters: "Was bildet sich der junge Schnösel eigentlich ein, mich über unser Rechtssystem belehren zu wollen? Für diese Anmaßung verurteile ich seinen Kumpel zur Höchststrafe!" ;)
 

Klimbim

Schreibwütig
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24 November 2024
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Aber dir ist doch sicherlich klar, dass dein couragiertes Plädoyer auch böse nach hinten hätte losgehen können? So aus Sicht des Richters: "Was bildet sich der junge Schnösel eigentlich ein, mich über unser Rechtssystem belehren zu wollen? Für diese Anmaßung verurteile ich seinen Kumpel zur Höchststrafe!" ;)

ohhh vielen Dank für Deine durchdachte ! Antwort. Die erfordert bei mir selbst eine Pause zum Nachdenken.

Allerdings diese Frage da, die ich zitiere bekommst Du am Schluss meines Teils 15 in meinem "Reisebericht" (es ist ja irgendwie auch noch etwas anderes) auf einem Silbertablett serviert.

Es ist die Fortsetzung dessen, was ich als Junge 1978 in der Schule erlebt habe und Zeichen meines Charakters. Du kannst die weitere Fortsetzung dann auch in dem Video des Youtubers erkennen, der über mich und meine jetzige wunderbare Frau erzählt.

Ich denke, wer mir so durchdachte Antworten zukommen lässt, wird erkennen was ich meine.

Eigenverantwortlichkeit, Mut, die Bereitschaft zu Denken und Neugierde sind die Substanzen, aus denen meine Art Charakter entstand. Das war natürlich ein Prozess.

Das ganze ließ sich auch durch einen narzisstischen Menschen nicht aufhalten. Diese Werdung ist im Grunde das, was ich als Reisebericht verkleide.

Wer sich aber nicht weiter entwickelt weil er zwecks Ablenkung auf der Stelle tritt und sich betäubt, der wird es da schwerer haben. Ich kann das aber verstehen und verurteile keinen.

Ganz ausdrücklich nicht!
 
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