Vorwort:
Derzeit arbeite ich an einem Reisebericht aus dem Jahr 2011 (Pattaya) – eine persönliche Rückschau, die einigen Lesern, so wurde mir angedeutet, nicht gänzlich missfällt. Hier auch zu finden. Ich neige dazu, dieses wohlwollende Echo eher dem Umstand zuzuschreiben, dass sich manche mit der Thematik identifizieren können – weniger zwingend mit meinem Stil, meiner Sprache oder gar mit meiner Person.
"Wenn der Winter zu laut wird" - 2011, meine erste Reise nach Pattaya | Pattaya - Thailand - Asien Forum
Um dieser kleinen Theorie auf den Grund zu gehen, möchte ich hier einen gänzlich anders gelagerten Text vorstellen – ebenfalls ein Reisebericht, aber thematisch auf einem ganz anderen Gleis unterwegs.
Mich interessiert dabei vor allem eines: Ist es in erster Linie das Thema, das den Leser fesselt? Oder spielt die Art der Darstellung eine ebenso gewichtige Rolle? Kurz: Wie viel macht der Inhalt aus, wie viel die Form?
Wenn ihr mir dabei ein wenig Rückmeldung geben mögt, wäre das für mich ein Gewinn. Und falls dieser kleine Ausflug auf eurer Seite eher zu ermüdender Gleichgültigkeit führt – nun, das wäre dann eben auch eine Erkenntnis.
In diesem Sinne: viel Vergnügen – oder zumindest ein gewisses Maß an geduldiger Lektüretoleranz.
GRIECHENLAND 1989
Ein Flashback im Kopf und eine Gerichtsverhandlung, 1989 (verfasst vor etwa einem Jahr in Griechenland)
Gestern fuhren wir an der Westküste Kretas entlang. In Paleochora machten wir Halt – ein Ort, den man ohne Weiteres übersehen könnte. Ich war schon einmal dort, 1989. Damals in Begleitung eines Franzosen sizilianischer Herkunft. Ziemlich durchgeknallt.
Er knatterte nachts stundenlang mit seinem Motorrad über den Strand, als gäbe es kein Morgen. Direkt am Haus des Präsidenten vorbei (seiner Sommerresidenz), wie wir später erfuhren. Ich bat ihn, den Lärm sein zu lassen – es war unerträglich. Aber er war betrunken, stolz auf seinen Stil und völlig uneinsichtig.
Ich ärgerte mich. Sehr.
Am nächsten Morgen, ich war gerade unter der öffentlichen Dusche, wurde er von zwei Polizisten abgeführt. Er hatte einfach nur am Strand gesessen.
Die offizielle Begründung: obszöne Gesten gegenüber den Töchtern des Präsidenten. Ich habe weder Töchter gesehen noch glaubte ich je daran. Trotzdem – 500 Mark Strafe, zwei Tage im Knast.
Das Ganze wurde in einem Provinzgericht in Chania verhandelt. Ich war dabei. Und durfte sogar für ihn sprechen.
Ich sagte, Griechenland sei ein Rechtsstaat. Man könne nur für das bestraft werden, was einem konkret zur Last gelegt werde. Ersatzanklagen für nicht begangene Taten?
Das stehe einem zivilisierten Land nicht gut zu Gesicht.
Ich war noch Student. Kein Jurist. Aber ich versuchte es. Und sprach Französisch – der Angeklagte hatte einen Dolmetscher bekommen. Die Anklage lautete: Erregung öffentlichen Ärgernisses durch das Zeigen sexueller Handlungen.
Vielleicht in Tateinheit mit Beleidigung. Vielleicht auch nicht.
Ich sagte sinngemäß:
„Der junge Mann mit schwachen Manieren hat die Leute um den Schlaf gebracht – mit seinem idiotischen Gehabe und diesem höllischen Motorrad.
Aber Sie, Herr Vorsitzender, kommen aus einem Land, in dem nächtlicher Lärm kein Drama ist. Seien wir ehrlich: hier wird bis morgens Hochzeit gefeiert, mit Blechbläsern und Gewehrsalven.
Man kann diesen Irren schwerlich mit voller Härte belangen – auch wenn sein Auftritt unerträglich war. In meinem Land hätte man ihn wegen Ruhestörung angezeigt. Das Nacktbaden hätte man vielleicht mit einem freundlichen Hinweis beendet. Peanuts.
Aber hier? Hier ist das eine ernste Sache. Nur: Er hat es nicht getan. Die angeblich obszönen Gesten – wer soll das bezeugen? Die Polizei? Am Strand, bei Nacht? Haben sie etwa Fotos gemacht? Ich glaube es nicht. Und Sie?
Geben Sie ihm eine milde Strafe wegen Ruhestörung. Korrigieren Sie die Anklage, wenn Sie mögen. Es braucht keine Vernehmung der Polizisten. Glaubwürdig sind sie ohnehin nicht.
Lassen Sie ihn bezahlen – aber nicht mit Monaten Gefängnis. Dafür ist Ihre Demokratie zu kostbar und Ihr Rechtsstaat zu klug.“
Der Richter hörte zu. Ich war jung. Unerschrocken. Vielleicht naiv. Aber ich sprach, wie ich dachte.
Er lächelte kurz, wachte aus seiner inneren Siesta auf und schickte die schwitzenden Polizisten aus dem Saal. Der Staatsanwalt – was für ein Personalaufwand für einen Strand-Irren – leerte sein Glas Wasser in einem Zug. Seine Gesichtszüge, umrahmt von Schweiß, machten den Eindruck eines Mannes, der innerlich längst gekündigt hatte.
Die fetten Stubenfliegen drehten müde ihre Kreise. Der klapprige Ventilator an der Decke wirkte, als würde er sich jeden Moment lösen und auf mich stürzen.
Dann sagte der Richter:
„Bei diesem Wetter sollte man lieber schwimmen und dann feiern. Aber nicht in der Nacht. Und besser nicht an diesem Strand. Einverstanden?“
Kurzes Schweigen. Dann das Urteil. Keine Beratung – er war Einzelrichter. Vielleicht beriet er sich mit sich selbst.
500 D-Mark in Drachmen. Oder zwei Wochen Gefängnis.
Der Idiot zahlte. Und die Sache war durch.
Er begriff nicht, was da gerade an ihm vorbeigeschrammt war.
Ich fand das Ganze hochinteressant. Und habe mir gestern noch einmal das Gerichtsgebäude angesehen. Venezianischer Stil. Sehr hübsch. Wirklich sehr hübsch.
In keinem Reiseführer verzeichnet.
Warum eigentlich nicht?

Derzeit arbeite ich an einem Reisebericht aus dem Jahr 2011 (Pattaya) – eine persönliche Rückschau, die einigen Lesern, so wurde mir angedeutet, nicht gänzlich missfällt. Hier auch zu finden. Ich neige dazu, dieses wohlwollende Echo eher dem Umstand zuzuschreiben, dass sich manche mit der Thematik identifizieren können – weniger zwingend mit meinem Stil, meiner Sprache oder gar mit meiner Person.
"Wenn der Winter zu laut wird" - 2011, meine erste Reise nach Pattaya | Pattaya - Thailand - Asien Forum
Um dieser kleinen Theorie auf den Grund zu gehen, möchte ich hier einen gänzlich anders gelagerten Text vorstellen – ebenfalls ein Reisebericht, aber thematisch auf einem ganz anderen Gleis unterwegs.
Mich interessiert dabei vor allem eines: Ist es in erster Linie das Thema, das den Leser fesselt? Oder spielt die Art der Darstellung eine ebenso gewichtige Rolle? Kurz: Wie viel macht der Inhalt aus, wie viel die Form?
Wenn ihr mir dabei ein wenig Rückmeldung geben mögt, wäre das für mich ein Gewinn. Und falls dieser kleine Ausflug auf eurer Seite eher zu ermüdender Gleichgültigkeit führt – nun, das wäre dann eben auch eine Erkenntnis.
In diesem Sinne: viel Vergnügen – oder zumindest ein gewisses Maß an geduldiger Lektüretoleranz.
GRIECHENLAND 1989
Ein Flashback im Kopf und eine Gerichtsverhandlung, 1989 (verfasst vor etwa einem Jahr in Griechenland)
Gestern fuhren wir an der Westküste Kretas entlang. In Paleochora machten wir Halt – ein Ort, den man ohne Weiteres übersehen könnte. Ich war schon einmal dort, 1989. Damals in Begleitung eines Franzosen sizilianischer Herkunft. Ziemlich durchgeknallt.
Er knatterte nachts stundenlang mit seinem Motorrad über den Strand, als gäbe es kein Morgen. Direkt am Haus des Präsidenten vorbei (seiner Sommerresidenz), wie wir später erfuhren. Ich bat ihn, den Lärm sein zu lassen – es war unerträglich. Aber er war betrunken, stolz auf seinen Stil und völlig uneinsichtig.
Ich ärgerte mich. Sehr.
Am nächsten Morgen, ich war gerade unter der öffentlichen Dusche, wurde er von zwei Polizisten abgeführt. Er hatte einfach nur am Strand gesessen.
Die offizielle Begründung: obszöne Gesten gegenüber den Töchtern des Präsidenten. Ich habe weder Töchter gesehen noch glaubte ich je daran. Trotzdem – 500 Mark Strafe, zwei Tage im Knast.
Das Ganze wurde in einem Provinzgericht in Chania verhandelt. Ich war dabei. Und durfte sogar für ihn sprechen.
Ich sagte, Griechenland sei ein Rechtsstaat. Man könne nur für das bestraft werden, was einem konkret zur Last gelegt werde. Ersatzanklagen für nicht begangene Taten?
Das stehe einem zivilisierten Land nicht gut zu Gesicht.
Ich war noch Student. Kein Jurist. Aber ich versuchte es. Und sprach Französisch – der Angeklagte hatte einen Dolmetscher bekommen. Die Anklage lautete: Erregung öffentlichen Ärgernisses durch das Zeigen sexueller Handlungen.
Vielleicht in Tateinheit mit Beleidigung. Vielleicht auch nicht.
Ich sagte sinngemäß:
„Der junge Mann mit schwachen Manieren hat die Leute um den Schlaf gebracht – mit seinem idiotischen Gehabe und diesem höllischen Motorrad.
Aber Sie, Herr Vorsitzender, kommen aus einem Land, in dem nächtlicher Lärm kein Drama ist. Seien wir ehrlich: hier wird bis morgens Hochzeit gefeiert, mit Blechbläsern und Gewehrsalven.
Man kann diesen Irren schwerlich mit voller Härte belangen – auch wenn sein Auftritt unerträglich war. In meinem Land hätte man ihn wegen Ruhestörung angezeigt. Das Nacktbaden hätte man vielleicht mit einem freundlichen Hinweis beendet. Peanuts.
Aber hier? Hier ist das eine ernste Sache. Nur: Er hat es nicht getan. Die angeblich obszönen Gesten – wer soll das bezeugen? Die Polizei? Am Strand, bei Nacht? Haben sie etwa Fotos gemacht? Ich glaube es nicht. Und Sie?
Geben Sie ihm eine milde Strafe wegen Ruhestörung. Korrigieren Sie die Anklage, wenn Sie mögen. Es braucht keine Vernehmung der Polizisten. Glaubwürdig sind sie ohnehin nicht.
Lassen Sie ihn bezahlen – aber nicht mit Monaten Gefängnis. Dafür ist Ihre Demokratie zu kostbar und Ihr Rechtsstaat zu klug.“
Der Richter hörte zu. Ich war jung. Unerschrocken. Vielleicht naiv. Aber ich sprach, wie ich dachte.
Er lächelte kurz, wachte aus seiner inneren Siesta auf und schickte die schwitzenden Polizisten aus dem Saal. Der Staatsanwalt – was für ein Personalaufwand für einen Strand-Irren – leerte sein Glas Wasser in einem Zug. Seine Gesichtszüge, umrahmt von Schweiß, machten den Eindruck eines Mannes, der innerlich längst gekündigt hatte.
Die fetten Stubenfliegen drehten müde ihre Kreise. Der klapprige Ventilator an der Decke wirkte, als würde er sich jeden Moment lösen und auf mich stürzen.
Dann sagte der Richter:
„Bei diesem Wetter sollte man lieber schwimmen und dann feiern. Aber nicht in der Nacht. Und besser nicht an diesem Strand. Einverstanden?“
Kurzes Schweigen. Dann das Urteil. Keine Beratung – er war Einzelrichter. Vielleicht beriet er sich mit sich selbst.
500 D-Mark in Drachmen. Oder zwei Wochen Gefängnis.
Der Idiot zahlte. Und die Sache war durch.
Er begriff nicht, was da gerade an ihm vorbeigeschrammt war.
Ich fand das Ganze hochinteressant. Und habe mir gestern noch einmal das Gerichtsgebäude angesehen. Venezianischer Stil. Sehr hübsch. Wirklich sehr hübsch.
In keinem Reiseführer verzeichnet.
Warum eigentlich nicht?

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