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Andere Die alte Geschichte

Gravity

Lächeln ist einfach
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24 August 2012
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Nordost in Südwest
Es ist schon einige Zeit vergangen und eigentlich gibt es gar keinen Grund eine alte Geschichte hervorzukramen von der außer mir vermutlich niemand mehr weiß. Aber was sollte ich sonst tun?


Ich sitze hier auf meiner Veranda mit meinem alten Freund Jim Beam. Sicher, viele Leute lieben Scotch, aber das ist nichts für mich. Ich mag den Bourbon, er ist unverschnörkelt und gerade heraus wie ich selbst. Er ist auch günstiger was in meiner Situation ein gutes Argument ist.

Trotzdem, ich bleibe dabei, ich würde diese ganzen Glen´s nicht anrühren wenn es umgekehrt wäre. Es ist einfach nichts für einen alten Cowboy wie mich.


Ihr fragt euch sicher was euch der alte Kerl hier eigentlich sagen möchte. Das ist gar nicht so einfach.


Die Geschichte, wie lange ist sie eigentlich her? 20 Jahre? Ja das müßte ungefähr hinkommen.

Ich war damals schon zu alt für vieles und tat eben was anfiel um irgendwie durch den Tag und zu meinem alten Kumpel Jim zu kommen.


Ich war zweimal verheiratet, aber die Ladies hielten es nie lange mit mir aus. Ihnen gefiel nicht das ich nie etwas an meinem Leben ändern wollte. Meine Jobs waren im großen und ganzen immer Gelegenheitsjobs, ich tat einfach was anfiel: ich arbeitete auf dem Bau, fuhr mit Trucks kreuz und quer durchs Land, war mal Tankwärter oder schleppte Möbel für eine Firma die sich auf Umzüge von fremden Leuten verlegte. Wahrscheinlich habe ich die Hälfte von dem ganzen Mist selbst schon vergessen. Ich fand das immer in Ordnung ein einfaches Leben zu haben. Sicher, zu mehr Geld hätte ich nicht Nein gesagt, aber dafür mein Leben ändern?


Meine erste Frau blieb drei Jahre bei mir ehe sie mit einem Arzt - oder war er Rechtsanwalt? - durchbrannte.

Meine zweite Frau war schneller, ich denke das sie mir schon auf unserer Hochzeit Hörner aufsetzte, jedenfalls war sie nach 5 Monaten weg. Zusammen mit meinem besten Freund und damaligen Trauzeugen.


Danach hatte ich noch ein paar Freundinnen, aber auch denen war ich zu anspruchslos.

Ich habe die Ladies nie verstanden.


Sie lassen sich von einem aufgeblasenen Gockel verdreschen, wenn aber ein Pelz unterm Weihnachtsbaum liegt oder eine schicke Tasche, die Gebühr für den örtlichen Country-Club entrichtet ist oder das Ticket für irgendein Spießerhotel an irgendeinem Ort - wo man die selben Leute trifft wie zu Hause - gebucht ist, dann sind sie zufrieden.


Wenn es ihnen so gefällt, ok.


Jetzt bin ich sowieso zu alt um mich noch mit solchen Dingen zu beschäftigen und wenn ich ehrlich bin, ich glaube das mein alter Dickschädel das immer noch nicht kapieren würde.


Tja so war das damals.


Damals, also etwa vor 20 Jahren, arbeitete ich wieder auf einer Baustelle. Ich war gerade dabei das Gerüst aufzubauen als ein junges Mädchen auf die Baustelle gerannt kam und sich hinter einer Nische verkroch. Ich rief ihr zu das sie verschwinden solle aber sie bewegte sich keinen Millimeter.


Ich stieg also vom Gerüst herunter um sie zu verscheuchen als ein Mann um die Ecke gebogen kam und nach ihr Ausschau hielt. Ich fragte ihn ob er der Vater des Mädchens sei.


Der Mann kam mir merkwürdig vor. Er sagte sie sei abgehauen weil sie eine schlechte Schulnote bekommen habe.

Naja von solchen Dingen hört man immer wieder.


Sie bewegte sich aber immer noch nicht aus der Nische hervor obwohl ihr klar sein mußte das ihr Versteckspiel beendet war. Das erschien mir seltsam weshalb ich klarstellte das eine schlechte Note in der Schule doch kein Anlass sei die ganze Baustelle aufzuhalten.


Das war keine gute Idee! Ich sah im Augenwinkel wie das Mädchen aus Ihrem Versteck sprang. Daraufhin erwachte ich nach kurzer Zeit im Matsch meines Arbeitsplatzes. Die Schilderungen zu diesem Vorfall gehen auseinander. Mein Kollege der am Nächsten stand sagte der Typ hätte mir ein Verbindungsrohr des Gerüsts übergezogen, ein anderer es wäre ein Spaten gewesen, eine 3. Meinung war er hätte mich einfach mit der Faust lang gemacht.

Letzten Endes weiß ich es nicht und spielt in dieser Geschichte auch keine Rolle.

Ich war nie einer dieser toughen Jungs, mir war es immer schon am liebsten wenn ich meine Ruhe hatte. Gott allein weiß was alles auf dieser durchgeknallten Welt passiert, ich hielt mich nie für was besseres und ging allen Problemen aus dem Weg so gut es ging. Wie das Wasser suchte ich mir meinen Weg durch mein labyrinthisches Dasein.


Ich machte kein großes Aufheben darum, mein Capo schickte mich nach Hause und gab mir den nächsten Tag frei. Das Kopfbrummen linderte mein Kumpel Jim, alles ok.


Mir blieb aber ein seltsames Faible für Fremdworte anhaften seit diesem Tag. Es gibt wahrlich schlimmeres!


Ich ging also nach dem zweiten Tag wieder aufs Gerüst, alle hatten sich alle möglichen Geschichten ausgemalt und am vierten Tag war alles wie eh und je. So blieb es auch noch die nächsten 4 Tage.

Ich sägte an einer Holzlatte als das Mädchen wieder auftauchte und sich wieder versteckte.

Ich dachte noch: Wow, wieviele Tests die Kinder heutzutage schreiben müssen und war eine Sekunde froh diesen Schulalltag hinter mir gelassen zu haben. (Zur Erinnerung: Mein Schulalltag war damals auch geprägt von „Züchtigungen“ wie man es damals nannte)


Im nächsten Moment stand wieder dieser gut aussehende Anzug-Typ mir gegenüber. Ich kann mir bis heute nicht erklären wie es dazu kam, das wird eines Tages in meinen Annalen stehen, jedenfalls rannte ich ihn einfach über den Haufen. Der Kerl war deutlich sportlicher als ich, aber mit irgendeinem von meinen 100 ok 110kg traf ich ihn.

Er war nicht benommen aber in unserem Baustellen-Schlamm zog sich sein Sakko fest. Er lag da wie ein Käfer auf dem Rücken.

Ich half ihm auf und stellte klar: wenn er mich nochmal…


BÄM! Diesmal war mein Joch-und Nasenbein durch.


Hier stellte mich mein Capo zur Rede und ich war wieder arbeitslos.


Mir scheint manchmal wird man in den Scheiß reingezogen, egal was man tut. So war es dann ja auch.



OK, ich ging wieder nach Hause, trank Jim, lauschte den Vögeln und dem Wind, ein paar Schmerztabletten waren vielleicht auch dabei.Die Sache mit dem Jochbeinbruch gestaltete sich schwieriger aber vor allem deshalb weil ich es schräg zusammenwachsen lies. Um also die Geschichte zu verstehen muß man sich vorstellen das ich wie Frankenstein oder besser: die Schöne und das Biest durch die nächsten Jahrzehnte ging.


Das ist heute nicht mehr so, ich habe mich ein paarmal operieren lassen und sehe vermutlich besser aus als es das von Natur aus gewesen wäre. Und trotz aller OPs bin ich nicht zu einem schönen Mann geworden. Es ist nur so das ich unauffällig in einem Supermarkt einkaufen kann. Well, mehr habe ich nie von meinem Leben erwartet.


Ich würde Euch das nicht schreiben wenn es nicht anders gekommen wäre. So völlig anders das ich mir überlege ob diese Geschichte nicht meine Geschichte - die Geschichte meines Lebens ist. Je mehr ich darüber nachdenke desto wahrscheinlicher ist es.
 

Gravity

Lächeln ist einfach
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24 August 2012
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Vorab nochmal kurz angemerkt das ich die Geschichte erst hätte zu Ende schreiben sollen bevor ich Euch Bruchstücke poste. Lag wahrscheinlich an meiner Neugier ob sich überhaupt jemand dafür interessiert. Naja Euer Feedback war für mich überwältigend und dementsprechend will ich Euch auch nicht enttäuschen.

Ich habe mit diesem ganzen Facebook, Twitter, Instagram, Socialzeug überhaupt nichts am Hut. Ist nicht meine Welt obwohl ich im Vergleich zu den ganzen Gören die man immer wieder heulen sieht nach einem „Shitstorm“ vermutlich cool bleiben würde.

Aber was weiß ich schon von dieser neuen Zeit? Ich bin froh hier im Forum technisch zurechtzukommen und das einem hier ein größeres Wohlwollen entgegenschlägt als sonst üblich in dieser schönen neuen Welt..


Genug der Vorrede, wo war ich ?


Ich war wieder mal arbeitslos und saß mit zertrümmerter Fresse daheim. Das war für mich alles keine neue Situation. Ohne Arbeit dazusitzen war/ist für mich ein vertrauter Umstand der seinen Schrecken mit der Zeit verloren hat.

Genauso verhielt es sich mit meinen Verletzungen, ich konnte mich zwar meist erfolgreich aus Schwierigkeiten heraushalten, aber jeder dem bestimmte Werte wichtig sind kennt das. Ich will da kein Aufheben darum machen.


Also wie ging es weiter.. ich blieb erstmal ein paar Tage zuhause, festigte meine Freundschaft mit Jim und schmiß ein paar Tabletten ein. Die Schmerzen halten sich bei einem Jochbeinbruch in Grenzen, das ist keine große Sache. Aber wenn Du niesen mußt hast du das Gefühl dir fliegt gleich das Gesicht auseinander, was bei mir wegen der lädierten Nase doch öfter vorkam.


Ich dachte darüber nach wie es nun weiterging, denn egal wie gut du dich mit Jim verstehst, er will bezahlt werden!


Ein Job auf dem Bau schied erstmal aus weil man aus den mannigfaltigsten Gründen immer mal etwas abbekommt - so häßlich ich auch aussehe, mein Gesicht hatte Schonung verdient.

Ich las die Stellenanzeigen der örtlichen Postille (die Situation für Typen wie mich waren Ende der Neunziger ganz ok, Jobs gab es wie Sand am Meer) und stieß auf einen Spediteur der im Nachbarort saß.

Ich ging 2 Tage später zu ihm hin und wie sich herausstellte waren wir aus dem selben Holz geschnitzt. Das war auch ein Typ aus der alten Zeit dem alles nicht so wichtig erschien wie dem Zeitgeist, dafür hatte er Werte.

Für den konnte ich mich ins Zeug legen, das war gleich klar.


Einen Führerschein hatte ich und so war die Anstellung nur eine Formalie. Ich bekam einen Peterbuild mit Schlafkoye was mir sehr gelegen kam. Ich kündigte mein Appartement, suchte meine sieben Sachen zusammen und wartete auf den ersten Auftrag.


Der kam auch kurze Zeit später, ich sollte einen Zug nach Ottawa bringen, dann von Toronto mit einer neuen Ladung nach Indianapolis. Klar kein Problem, ich war ja froh aus diesem Mistkaff zu entkommen.


Also fand ich mich an einem Montagmorgen hinter dem Steuer meines Peterbuild. Ein ehrlich formidables Stück Automobilkunst!


Ich fuhr auf die Interstate 75 Richtung Detroit als nach kurzer Zeit ein Kind auf die Fahrbahn sprang. Ich drückte die Bremse mit ganzer Kraft, das Ungetüm schnaubte verächtlich und quietschte wie ein angestochenes Schwein. Aber es kam zum Glück zum stehen. Ich war noch nicht sortiert als die Beifahrertür aufschwang und „dieses“ Mädchen auf den Sitz sprang…


…Was zur Hölle!!!…


„Sag mal: Spinnst Du?“ fuhr ich sie an.


Woraufhin sie losheulte wie ein verlassenes Rehkitz..

Hinter mir hupten die anderen Trucks weshalb ich nach langer Suche den ersten Gang einlegte und mein Baby röhrte.


Hier wäre für mich gefühlt der nächste Cut zu der Geschichte, aber wie versprochen lasse ich mein Gedächtnis nicht so einfach aus der Sache.


Schock würde ich es nicht nennen, aber ich war ordentlich auf Fahrt und beschimpfte die Kleine ohne Unterlass, was allerdings das Geheule nur schlimmer machte.

Irgendwann waren wir beide zur Ruhe gekommen, das waren vermutlich keine 20 Meilen als ich sie fragte warum sie denn immer abhaut. Und schon wieder fing sie mit heulen an.


Heute weiß ich das es der perfekte Zeitpunkt gewesen wäre an der nächsten Tankstelle anzuhalten und das Jugendamt zu rufen aber damals war ich nicht so schlau.

Um ehrlich zu sein, ich wüßte nicht ob ich heute nicht wieder so handeln würde. Ein alter Dickschädel bleibt wahrscheinlich ein alter Dickschädel.


Jedenfalls fuhr ich weiter und ließ die Kleine sich ausheulen. Irgendwann gefühlt eine Stunde später beruhigte sie sich und kam langsam mit der Geschichte heraus. Der Typ der mich auf der Baustelle zweimal zugerichtet hatte war ihr „Stiefvater“. Der Typ und ihre alleinerziehende Mutter hatten sich in einer Bar in Hillsboro kennengelernt und zogen schnell zusammen, das war nicht unüblich um die Kosten der doppelten Haushaltsführung zu sparen. Jedenfalls, so sagte sie es mir war er nicht an ihrer Mutter interessiert sondern vielmehr an ihr.


BBäm!!


Das ließ mich nicht kalt und ich war drauf und dran umzukehren um diesem Päderasten die Armani-Klamotten vom Leib zu fetzen. Verdient hatte er sich das sowieso.


Aber die Kleine entgegnete meinem Wutanfall: Hey Alter, beruhig dich mal. Glaubst du echt das wäre etwas besonderes?


Ja schrie ich aber die Kleine lachte mich nur aus. Das war zuviel für mich! Ich rief meinen Boss an und sagte ihm ich hätte eine Reifenpanne.


Wir hielten am Pitstop, aßen etwas und sie erzählte mir mehr von ihrem Leben. Das war vermutlich das schwierigste Gespräch das ich je geführt habe.


Ihr Name war Clarence, aber alle nannten Sie nur Clare, Sie erzählte mir von den Übergriffen des Anzugträgers der wohl eine große Nummer in dem Kaff war. Auch ein Anwalt oder Richter, auf jeden Fall ein Schwein!


Das war nicht einfach zu hören, besonders das ich ja schon mit dem „Käfer auf dem Rücken“ Bekanntschaft gemacht habe. Ich sagte ihr wir fahren zurück und klären die Sache, aber sie lachte mich wieder aus, und das beklemmende: Sie hatte Recht.
 

goldimann

Hat nix anderes zu tun
   Autor
16 November 2011
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"...und das einem hier ein größeres Wohlwollen entgegenschlägt als sonst üblich in dieser schönen neuen Welt."

Oh, oh, mach mir bloss nicht den Zauberlehrling.;)

Bis jetzt eine tolle Räuberpistole, und schön geschrieben!
 

pepper_chilli

steht auf Zauberhände :))
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Ist das der Anfang einer tollen Story?:rolleyes:
Ich hoffe, ja! Klingt sehr unterhaltsam.:daumen
Aber @Mediucus , du schreibst von dir, als ob du ein sehr, sehr älterer Herr bist.:eek:
Ich habe mal kurz etwas in deiner Forenvergangenheit gestöbert. Im Jahr 2016 warst du 40. :keine Ahnung

LG chilli:)
 
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Gravity

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24 August 2012
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Gravity

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Also Leute, ich wurde ertappt, wundert mich nicht, das Forum ist einfach gut (Zauberlehrling)

Walle! walle
Manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Ich würde ja noch an der Story feilen, aber ich will niemand hinters Licht führen. Insofern.. up to you ;-)
 

Gravity

Lächeln ist einfach
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Obwohl... eigentlich bin ich ganz froh nochmal neu anzufangen. Den Herren habe ich schon skizziert, aber die Sache mit dem Mädchen.. schwierig
 

goldimann

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Das mit dem Zauberlehrling mußt du mir nochmal erklären,

im Bezug auf dein gefühltes Wohlwollen was dir hier im Forum entgegenschlägt;

Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.

Authentizität wird der kreativen Erzählkunst oftmals vorgezogen. Das ist aber nur meine Meinung, deswegen mach mal ruhig weiter.
 
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