Thread Starter
- 24 Juni 2010
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Kein Diamant ist unvergänglich
Santi Srithanakan hat allen Anlaß, um sein Leben zu fürchten. Es geht um eine Affäre, in deren Verlauf mindestens fünfzehn Menschen umgebracht wurden; um einen Vorfall, der die Beziehungen zwischen Thailand und Saudi-Arabien vergiftet hat und in dessen Mittelpunkt Juwelen im Wert von 31 Millionen Mark stehen. Sie wurden einem saudischen Prinzen gestohlen und sind nach wie vor verschwunden, einschließlich des berühmten siebzigkarätigen blauen Diamanten. Santi, der die heiße Ware verhökert hat, erhielt die deutlichste Warnung überhaupt: Anfang August vergangenen Jahres wurden seine Frau und sein Sohn tot in einem Auto aufgefunden. Erschlagen mit einer Eisenstange.
"Ich habe nichts zu fürchten und nichts mehr zu verlieren, denn ich habe schon alles verloren", gab Santi im September 1994 schwerbewacht bei einer Pressekonferenz zu Protokoll. Genau das glaubt ihm keiner. Santi hat sehr wohl einiges zu fürchten und noch mehr zu verlieren - zum Beispiel sein Leben. Zwar wurde die Pressekonferenz von der Polizei einberufen, doch zu den Hauptverdächtigen bei diesem Diebstahl gehören Polizeibeamte. Das Ausmaß der Korruption, das im thailändischen Polizeiapparat zutage getreten ist, hat selbst Thailands Zyniker überrascht.
"Thailand - Land des Lächelns", "sanft wie Seide"; das paßt nicht recht zu den gigantischen Verkehrsstaus und den Genehmigungen für Golfplätze in Naturschutzgebieten, zum Postenschacher, Polizeischutz für Heroin-Deals, zu Mietwaffen und gedungenen Mördern. Bangkok hat sich verändert; auf Pump werden überall Neubauten hochgezogen, Mercedes-Limousinen verstopfen die engen Seitenstraßen, die Börse ist ein Kasino geworden, und das Nationalgetränk heißt Chivas Regal. Die alten reichen Thaifamilien und die neureichen Geschäftsleute, zumeist Thaichinesen, ließen gemeinsam das Land zur Ader.
Das war die Welt von Santi Srithanakans Geschäften. In diesen Kanälen verschwanden die saudischen Juwelen. Es ist die Welt zynischer, raffgieriger Leute, deren Geld jedes Verbrechen reinwäscht. Lästige Angestellte verschwinden einfach, Tatverdächtige werden ohne Haftbefehl oder Gerichtsverfahren erschossen. "Sagen Sie uns endlich die ganze Wahrheit, Mr. Srithanakan! Angesichts dieser Tragödie müssen Sie etwas für das Land tun", rief eine Journalistin auf der Pressekonferenz. Sie hatte genug von den hohlen Antworten. Doch Santi antwortete nicht. Die Wahrheit über die Juwelen betrifft zu viele einflußreiche Leute, zuviel Geld und zu viele Namen, die nicht genannt werden können.
Die Geschichte beginnt 1989, als der thailändische Arbeiter Kriangkrai Techamong einen Job ergattert im Palast von Prinz Faisal bin Fahd, eines Sohnes von König Fahd von Saudi-Arabien. Kriangkrai stammt aus Ban Mae Pa, einem kleinen Dorf im Norden Thailands, und arbeitet seit 1985 in Riad. Einer von 250 000 Thais, die für reiche Saudis als Hausangestellte, Gärtner und Bauarbeiter schuften; jedes Jahr überweisen sie Hunderte von Millionen Dollar in ihre Heimat.
An einem Tag des Jahres 1989 hat Kriangkrai im Ankleideraum der Ehefrau von Prinz Faisal zu putzen; hier befindet sich ihr Schmucksafe, und an diesem Tag soll ein philippinischer Elektriker die Alarmanlage reparieren. Kriangkrai paßt auf und findet heraus, wie sich der Alarm ausschalten läßt. Während sich der Prinz auf einer Europareise amüsiert, stattet Kriangkrai zwischen Ende Juni und Anfang August dem Ankleideraum einige nächtliche Besuche ab und stiehlt fast hundert Kilo Schmuck - Colliers, Armbänder, Ringe und Uhren. Anfangs versteckt er alles im Keller eines Nebengebäudes; später bringt er die Beute mit Hilfe von Komplizen nach Thailand, gibt seinen Job auf und kehrt nach Ban Mae Pa zurück. Dort vergräbt er den größten Teil hinter seinem Haus, ist aber dumm genug, den Nachbarn einige Kostbarkeiten zu zeigen und Schmuck im Wert von etwa 120 000 Dollar an Juweliere in der Umgebung zu verkaufen.
Inzwischen wird der Raub in Riad entdeckt. Kriangkrai zählt zu den Hauptverdächtigen. Am 10. Januar 1990 wird er von Lieutenant-Colonel Chalor Kerdthet festgenommen, einem für seine Untersuchungsmethoden berüchtigten Polizeibeamten. Der Name Kerdthet bleibt fortan mit dem Schicksal der saudischen Juwelen eng verbunden.
Am darauffolgenden Tag werden die Juwelen ausgegraben und am 15. Januar im Polizeipräsidium in Bangkok zur Schau gestellt. Große Euphorie unter den Kripobeamten: Eine ihrer gewieftesten Spürnasen hat den Fall geknackt, der Dieb sitzt im Gefängnis, die Beute ist sichergestellt. Voller Stolz und Genugtuung wird ein Video von der Auslage gemacht, bevor das Geschmeide wieder im Safe verschwindet.
Doch schon gibt es erste Anzeichen, daß irgend etwas nicht stimmt. In der Presse tauchen erste Gerüchte auf. Angeblich haben einige der Juwelen bei der Show im Polizeipräsidium gefehlt.
Dann weht der Wind schärfer. Am 1. Februar 1990 werden drei saudische Diplomaten in Bangkok erschossen. Zwei Wochen später wird ein saudischer Geschäftsmann, der im selben Haus wie die Diplomaten gewohnt hatte, entführt und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Der Mord an den Diplomaten stehe im Zusammenhang mit einem Disput über Gastarbeitervisa, läßt die Polizei verlauten und deutet damit an, die Diplomaten hätten Bestechungsgelder kassiert. Riad ist außer sich; die Morde, davon sind die Saudis überzeugt, haben mit den Juwelen zu tun. Ein Visastopp für thailändische Arbeiter wird verhängt. Mohammed Said Khoja, ein persönlicher Abgesandter König Fahds, soll den Mordfällen auf den Grund gehen und die Rückgabe der Juwelen sicherstellen. Khoja trifft am 16. März 1990 in Bangkok ein, genau an dem Tag, als ein Privatflugzeug mit den Juwelen und drei thailändischen Polizeibeamten an Bord - darunter Colonel Kerdthet - nach Riad startet. Doch schon bevor das Flugzeug in Saudi-Arabien landet, vermutet Khoja, daß die Rücksendung unvollständig ist und daß die vier Saudis starben, weil sie das wußten.
"Unvollständig" ist gut gesagt. Als Prinz Faisal die Juwelen in Empfang nimmt, fehlen siebzig Prozent "dieser Sammlung meines Lebens", wie er klagt. Khojas erste Aufgabe in Bangkok ist es, dem damaligen Premierminister Chatichai Choonhavan ein Schreiben Prinz Faisal bin Fahds zu überbringen. Seine diplomatische Note schließt mit den Worten: "Den Fähigkeiten der thailändischen Sicherheitsbehörden, das Fehlende wiederzubeschaffen, sehe ich zuversichtlich entgegen."
Es sollte noch schlimmer kommen. Als Prinz Faisal seine Juwelen genauer prüft, entdeckt er, was man in Thailand sonst noch von Schmuck versteht; die meisten der zurückgegebenen Stücke sind aus billigem Metall und geschliffenem Glas gefertigte Fälschungen. Nun hat sich in den Augen der Saudis ein dummer Diebstahl zu einer nationalen Beleidigung gewandelt. "Thailand ist ein Land der Fälschungen", konstatiert Khoja. "Imitierte Stücke von Cartier, imitierte Rolex-Uhren, hier kann man alles bekommen . . . Doch ist es vorstellbar, daß uns Thailand betrügen will? Eine Monarchie die andere? Ist das möglich?"
Khoja, sechzig Jahre alt, ist ein gebildeter, gewandter Diplomat, der seinem Land zuvor in Washington, London, Paris und Bonn gedient hat. Dieser so betont höfliche Herr mit der angenehmen Stimme wirkt gelegentlich wie hypnotisiert angesichts des Skandals, mit dem er zu tun hat. "Überall sonst habe ich Freunde gefunden, nicht jedoch hier", sagt er nachdenklich.
Khoja, der schon viele Morddrohungen erhalten hat, trägt eine Pistole bei sich. "Ich habe keinen gepanzerten Wagen, doch mein Gott schützt mich", sagt er gelassen. Von den thailändischen Behörden hat Khoja nur Entschuldigungen und Ausflüchte erhalten: "Alle lächeln und sagen, sie täten ihr Bestes, sie würden einen neuen Untersuchungsausschuß einrichten - aber das ist alles nicht wahr. Ich hatte mit sechs Außenministern, fünf Premierministern und fünf Innenministern zu tun. Alle haben mir versichert, der Fall würde in einer Woche, in einem Monat gelöst . . . Nach vier Jahren bin ich immer noch hier."
Ein paar Dinge haben sich geklärt; Khoja konnte eine Kopie des Polizeivideos von Januar 1990 erwerben, als die Juwelen im Polizeipräsidium präsentiert wurden, und erstellte anhand von Standbildern ein Photoalbum mit allen gezeigten Stücken. Dieses Album sandte er Prinz Faisal, der die zurückgegebenen Stücke markierte und das Album zurückschickte. Annähernd zwei Drittel waren nicht markiert: Khoja besaß nun ein Verzeichnis jener Juwelen, die unter der Obhut der Polizei verschwunden waren. Doch es gab auch Stücke, die gar nicht erst auf dem Video auftauchten, darunter der Siebzigkaratdiamant.
Khoja ist sicher, daß die drei saudischen Diplomaten ermordet wurden, weil sie im Besitz von Informationen über die Juwelen waren: "Einer hatte seiner Frau erzählt, daß er etwas über die Juwelen wisse, aber sterben müsse, falls er darüber spreche. Ein anderer bemerkte etwas Ähnliches zu seiner Hausangestellten." Und was den Geschäftsmann Mohammed al-Ruwaily angeht, der zwei Wochen später verschwand (einen Monat, bevor die Juwelen nach Saudi-Arabien zurückgingen), so hatte dieser nicht nur in demselben Haus wie die Diplomaten gewohnt, sondern auch mit ihnen über die Sache gesprochen. "Nach meinen Informationen", sagt Khoja, "wurde er entführt, in einem Bauernhof gefoltert, erschossen und verbrannt." 1993 wird der Polizeibeamte Lieutenant-Colonel Somkid Boonthanom verhaftet. Er wird verdächtigt, den Geschäftsmann entführt zu haben. Doch der Staatsanwalt entscheidet, daß für eine Verurteilung die Beweise nicht ausreichen. Boonthanom wird zum Chef der Geheimpolizei in Bangkok ernannt, und der Fall al-Ruwaily löst sich auf in einem Nebel widersprüchlicher Erklärungen hoher Polizeibeamter.
Niemals hat die thailändische Polizei formell zugegeben, daß siebzig Prozent der saudischen Juwelen unter ihrer Obhut veruntreut wurden. Ein Polizeibeamter unterstellte sogar, die saudische Eskorte im Flugzeug habe die Juwelen unterschlagen. Zu den gefälschten Juwelen liegt bislang keine Erklärung vor.
Was ist mit den Pretiosen passiert? Juwelen sind das große Geschäft in Thailand. Abgesehen von den eigenen Rubinvorkommen ist hier der Umschlagplatz für Edelsteine aus Birma und Kambodscha, und die thailändischen Edelsteinsucher schwärmen bis Sri Lanka und Vietnam aus. Unerschrockene dringen sogar über die kambodschanische Grenze bis in die stark verminte und malariaberüchtigte Gegend um Pailin vor, die von den Roten Khmer kontrolliert wird, wo Saphire von höchster Qualität zu finden sind. Außerdem ist Bangkok eines der größten Zentren für Diamantenschliff. Die Thailänder kennen ihre Steine und können nie genug davon bekommen. Diesen Appetit kennt auch die Polizei. Ein Juwelier aus Bangkok schickt seiner Erzählung voraus, es sei nicht sein Leben wert, mit Namen genannt zu werden. Dann berichtet er, in dem Moment, als die saudischen Juwelen in Kriangkrais Dorf ausgegraben wurden, sei auf Polizeiebene so etwas wie eine Kollektivhysterie ausgebrochen. Ein Innenminister, dem die Polizei untersteht, erhielt angeblich seinen Anteil. Die Frau eines Generals soll im eleganten "Royal Bangkok Sports Club" einige Stücke zum Kauf angeboten haben. Armbänder wurden zerlegt, die Steine aus Ringen herausgebrochen und neu gefaßt. Hauptvermittler war dabei, wie es aussieht, Santi Srithanakan, der den An- und Verkauf organisierte.
In der Zwischenzeit gibt es weitere Todesfälle - Anlaß für die Saudis, die Metapher vom "Fluch des blauen Diamanten" zu prägen. Ein mit der Untersuchung des Falles beauftragter Polizeibeamter verunglückt bei einem "Unfall" mit seinem Auto. Mehrere Edelsteinhändler aus Singapur (Khoja nennt sieben), die sich nach den Juwelen umsehen wollten, sind verschwunden. Aber wer steckt wirklich dahinter? Eine der Schlüsselfiguren in dem Skandal ist Chalor Kerdthet, der Polizeibeamte, der Kriangkrai festnahm und die Juwelen zuerst sicherstellte. Kerdthet, der vom einfachen Colonel zum Lieutenant-General aufstieg, hat einen Ruf als "Supercop", als Einzelgänger, der Fälle auf seine eigene Weise löst. Er besitzt zwei Ranches auf dem Lande, wohin er, wie es heißt, Verdächtige zur Befragung bringt. Dort hält er sich in Käfigen Krokodile, Bären und Tiger. Sein Stil - eine Mischung aus Großspurigkeit, Habgier, Betrug und Grausamkeit - steht für die schlimmsten Merkmale, die der thailändischen Polizei zugeschrieben werden.
Außerdem hat er engen Kontakt zu Santi. Doch irgend etwas läuft zwischen den beiden Männern schief: Kerdthet wird jetzt zu dem Verdacht vernommen, die Entführung und Ermordung von Santis Frau und Sohn angeordnet zu haben. Angesichts dieser besonders brutalen Morde ist das Interesse der Öffentlichkeit an dem saudischen Juwelendrama neu erwacht. Fünf subalterne Polizisten und mehrere Zivilpersonen wurden im Zusammenhang mit den Morden festgenommen; alle sagten aus, sie hätten auf Weisung ranghöherer Polizeibeamter gehandelt. Einer beschrieb sehr anschaulich, wie er sein Autoradio aufdrehte, um die Schreie der beiden Opfer zu übertönen, als sie mit der Eisenstange erschlagen wurden. Eine Zeugenaussage, die zeigte, wie lächerlich die Behauptung war, die beiden seien bei einem Autounfall ums Leben gekommen, die der Leiter der gerichtsmedizinischen Abteilung, Thasana Suwanchutha, zwei Wochen lang aufrechterhielt.
Santis Frau und sein Sohn waren vor ihrem Tod über eine Woche lang festgehalten worden; ob die Entführung Santi zum Sprechen oder Schweigen bringen sollte, ist unklar. Eine Theorie besagt, daß zwei Gruppierungen der Polizei hinter Santi her waren: erstens diejenige, die Kerdthet anklagte, er habe Teile der Juwelen unterschlagen, und die von Santi die Namen aller an der Sache Beteiligten hören wollte. Und zum anderen die Gruppe, die die Untersuchung abwürgen wollte. Doch es gibt auch eine einfachere Erklärung: Santi könnte versucht haben, Kerdthet aufs Kreuz zu legen.
Wird die Wahrheit je herauskommen? Warum hat sich die Untersuchung des Falles mehr als vier Jahre hingezogen, in denen sich Bangkoks Ermittlungsbehörden international lächerlich gemacht haben? Jährlich sind dem Land Millionen Dollar entgangen, die früher von den Gastarbeitern aus Saudi-Arabien in die Heimat überwiesen wurden.
Vielleicht ist das wahre Mysterium der Juwelen, daß es für viele Thailänder gar kein Mysterium gibt. Es wird gemunkelt, einer der involvierten Polizeibeamten sei so schlau gewesen, das wertvollste Einzelstück, nämlich den blauen Diamanten, einer so hochgestellten Persönlichkeit zu schenken, daß sich eine Untersuchung oder gar die Enthüllung der Person von selbst verbiete - eine perfekte Absicherung. Khoja meint zu wissen, wer das Siebzigkaratstück hat: "Würde ich diese Person beim Namen nennen, dann würde es Ihnen kalt den Rücken hinunterlaufen."
Inzwischen ist Santi in Polizeigewahrsam, als Kronzeuge, wie es heißt. Informationen hat er bislang so gut wie keine geliefert. Kerdthet und zwei andere hohe Polizeibeamte befinden sich in Untersuchungshaft, entweder wegen Veruntreuung oder wegen Mordes. Kriangkrai, der alles ins Rollen brachte, kam mit königlicher Begnadigung nach zwei Jahren und sieben Monaten Haftstrafe frei. Jetzt lebt er wieder in seinem Heimatdorf.
Mit der Untersuchung des Juwelenskandals betraut ist nun der neue Polizeichef, General Pochana Boonyachinda. Er selbst war im vergangenen Jahr in den Verdacht der Bestechlichkeit geraten.
Die meisten Thailänder glauben, daß Prinz Faisal seine Juwelen nie mehr wiedersehen wird.
link:
"http://www.zeit.de/1995/05/Kein_Diamant_ist_unvergaenglich"]http://www.zeit.de/1995/05/Kein_Diamant_ist_unvergaenglich[/URL]
"http://www.zeit.de/1995/05/Kein_Diamant_ist_unvergaenglich"]
[/URL]
Santi Srithanakan hat allen Anlaß, um sein Leben zu fürchten. Es geht um eine Affäre, in deren Verlauf mindestens fünfzehn Menschen umgebracht wurden; um einen Vorfall, der die Beziehungen zwischen Thailand und Saudi-Arabien vergiftet hat und in dessen Mittelpunkt Juwelen im Wert von 31 Millionen Mark stehen. Sie wurden einem saudischen Prinzen gestohlen und sind nach wie vor verschwunden, einschließlich des berühmten siebzigkarätigen blauen Diamanten. Santi, der die heiße Ware verhökert hat, erhielt die deutlichste Warnung überhaupt: Anfang August vergangenen Jahres wurden seine Frau und sein Sohn tot in einem Auto aufgefunden. Erschlagen mit einer Eisenstange.
"Ich habe nichts zu fürchten und nichts mehr zu verlieren, denn ich habe schon alles verloren", gab Santi im September 1994 schwerbewacht bei einer Pressekonferenz zu Protokoll. Genau das glaubt ihm keiner. Santi hat sehr wohl einiges zu fürchten und noch mehr zu verlieren - zum Beispiel sein Leben. Zwar wurde die Pressekonferenz von der Polizei einberufen, doch zu den Hauptverdächtigen bei diesem Diebstahl gehören Polizeibeamte. Das Ausmaß der Korruption, das im thailändischen Polizeiapparat zutage getreten ist, hat selbst Thailands Zyniker überrascht.
"Thailand - Land des Lächelns", "sanft wie Seide"; das paßt nicht recht zu den gigantischen Verkehrsstaus und den Genehmigungen für Golfplätze in Naturschutzgebieten, zum Postenschacher, Polizeischutz für Heroin-Deals, zu Mietwaffen und gedungenen Mördern. Bangkok hat sich verändert; auf Pump werden überall Neubauten hochgezogen, Mercedes-Limousinen verstopfen die engen Seitenstraßen, die Börse ist ein Kasino geworden, und das Nationalgetränk heißt Chivas Regal. Die alten reichen Thaifamilien und die neureichen Geschäftsleute, zumeist Thaichinesen, ließen gemeinsam das Land zur Ader.
Das war die Welt von Santi Srithanakans Geschäften. In diesen Kanälen verschwanden die saudischen Juwelen. Es ist die Welt zynischer, raffgieriger Leute, deren Geld jedes Verbrechen reinwäscht. Lästige Angestellte verschwinden einfach, Tatverdächtige werden ohne Haftbefehl oder Gerichtsverfahren erschossen. "Sagen Sie uns endlich die ganze Wahrheit, Mr. Srithanakan! Angesichts dieser Tragödie müssen Sie etwas für das Land tun", rief eine Journalistin auf der Pressekonferenz. Sie hatte genug von den hohlen Antworten. Doch Santi antwortete nicht. Die Wahrheit über die Juwelen betrifft zu viele einflußreiche Leute, zuviel Geld und zu viele Namen, die nicht genannt werden können.
Die Geschichte beginnt 1989, als der thailändische Arbeiter Kriangkrai Techamong einen Job ergattert im Palast von Prinz Faisal bin Fahd, eines Sohnes von König Fahd von Saudi-Arabien. Kriangkrai stammt aus Ban Mae Pa, einem kleinen Dorf im Norden Thailands, und arbeitet seit 1985 in Riad. Einer von 250 000 Thais, die für reiche Saudis als Hausangestellte, Gärtner und Bauarbeiter schuften; jedes Jahr überweisen sie Hunderte von Millionen Dollar in ihre Heimat.
An einem Tag des Jahres 1989 hat Kriangkrai im Ankleideraum der Ehefrau von Prinz Faisal zu putzen; hier befindet sich ihr Schmucksafe, und an diesem Tag soll ein philippinischer Elektriker die Alarmanlage reparieren. Kriangkrai paßt auf und findet heraus, wie sich der Alarm ausschalten läßt. Während sich der Prinz auf einer Europareise amüsiert, stattet Kriangkrai zwischen Ende Juni und Anfang August dem Ankleideraum einige nächtliche Besuche ab und stiehlt fast hundert Kilo Schmuck - Colliers, Armbänder, Ringe und Uhren. Anfangs versteckt er alles im Keller eines Nebengebäudes; später bringt er die Beute mit Hilfe von Komplizen nach Thailand, gibt seinen Job auf und kehrt nach Ban Mae Pa zurück. Dort vergräbt er den größten Teil hinter seinem Haus, ist aber dumm genug, den Nachbarn einige Kostbarkeiten zu zeigen und Schmuck im Wert von etwa 120 000 Dollar an Juweliere in der Umgebung zu verkaufen.
Inzwischen wird der Raub in Riad entdeckt. Kriangkrai zählt zu den Hauptverdächtigen. Am 10. Januar 1990 wird er von Lieutenant-Colonel Chalor Kerdthet festgenommen, einem für seine Untersuchungsmethoden berüchtigten Polizeibeamten. Der Name Kerdthet bleibt fortan mit dem Schicksal der saudischen Juwelen eng verbunden.
Am darauffolgenden Tag werden die Juwelen ausgegraben und am 15. Januar im Polizeipräsidium in Bangkok zur Schau gestellt. Große Euphorie unter den Kripobeamten: Eine ihrer gewieftesten Spürnasen hat den Fall geknackt, der Dieb sitzt im Gefängnis, die Beute ist sichergestellt. Voller Stolz und Genugtuung wird ein Video von der Auslage gemacht, bevor das Geschmeide wieder im Safe verschwindet.
Doch schon gibt es erste Anzeichen, daß irgend etwas nicht stimmt. In der Presse tauchen erste Gerüchte auf. Angeblich haben einige der Juwelen bei der Show im Polizeipräsidium gefehlt.
Dann weht der Wind schärfer. Am 1. Februar 1990 werden drei saudische Diplomaten in Bangkok erschossen. Zwei Wochen später wird ein saudischer Geschäftsmann, der im selben Haus wie die Diplomaten gewohnt hatte, entführt und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Der Mord an den Diplomaten stehe im Zusammenhang mit einem Disput über Gastarbeitervisa, läßt die Polizei verlauten und deutet damit an, die Diplomaten hätten Bestechungsgelder kassiert. Riad ist außer sich; die Morde, davon sind die Saudis überzeugt, haben mit den Juwelen zu tun. Ein Visastopp für thailändische Arbeiter wird verhängt. Mohammed Said Khoja, ein persönlicher Abgesandter König Fahds, soll den Mordfällen auf den Grund gehen und die Rückgabe der Juwelen sicherstellen. Khoja trifft am 16. März 1990 in Bangkok ein, genau an dem Tag, als ein Privatflugzeug mit den Juwelen und drei thailändischen Polizeibeamten an Bord - darunter Colonel Kerdthet - nach Riad startet. Doch schon bevor das Flugzeug in Saudi-Arabien landet, vermutet Khoja, daß die Rücksendung unvollständig ist und daß die vier Saudis starben, weil sie das wußten.
"Unvollständig" ist gut gesagt. Als Prinz Faisal die Juwelen in Empfang nimmt, fehlen siebzig Prozent "dieser Sammlung meines Lebens", wie er klagt. Khojas erste Aufgabe in Bangkok ist es, dem damaligen Premierminister Chatichai Choonhavan ein Schreiben Prinz Faisal bin Fahds zu überbringen. Seine diplomatische Note schließt mit den Worten: "Den Fähigkeiten der thailändischen Sicherheitsbehörden, das Fehlende wiederzubeschaffen, sehe ich zuversichtlich entgegen."
Es sollte noch schlimmer kommen. Als Prinz Faisal seine Juwelen genauer prüft, entdeckt er, was man in Thailand sonst noch von Schmuck versteht; die meisten der zurückgegebenen Stücke sind aus billigem Metall und geschliffenem Glas gefertigte Fälschungen. Nun hat sich in den Augen der Saudis ein dummer Diebstahl zu einer nationalen Beleidigung gewandelt. "Thailand ist ein Land der Fälschungen", konstatiert Khoja. "Imitierte Stücke von Cartier, imitierte Rolex-Uhren, hier kann man alles bekommen . . . Doch ist es vorstellbar, daß uns Thailand betrügen will? Eine Monarchie die andere? Ist das möglich?"
Khoja, sechzig Jahre alt, ist ein gebildeter, gewandter Diplomat, der seinem Land zuvor in Washington, London, Paris und Bonn gedient hat. Dieser so betont höfliche Herr mit der angenehmen Stimme wirkt gelegentlich wie hypnotisiert angesichts des Skandals, mit dem er zu tun hat. "Überall sonst habe ich Freunde gefunden, nicht jedoch hier", sagt er nachdenklich.
Khoja, der schon viele Morddrohungen erhalten hat, trägt eine Pistole bei sich. "Ich habe keinen gepanzerten Wagen, doch mein Gott schützt mich", sagt er gelassen. Von den thailändischen Behörden hat Khoja nur Entschuldigungen und Ausflüchte erhalten: "Alle lächeln und sagen, sie täten ihr Bestes, sie würden einen neuen Untersuchungsausschuß einrichten - aber das ist alles nicht wahr. Ich hatte mit sechs Außenministern, fünf Premierministern und fünf Innenministern zu tun. Alle haben mir versichert, der Fall würde in einer Woche, in einem Monat gelöst . . . Nach vier Jahren bin ich immer noch hier."
Ein paar Dinge haben sich geklärt; Khoja konnte eine Kopie des Polizeivideos von Januar 1990 erwerben, als die Juwelen im Polizeipräsidium präsentiert wurden, und erstellte anhand von Standbildern ein Photoalbum mit allen gezeigten Stücken. Dieses Album sandte er Prinz Faisal, der die zurückgegebenen Stücke markierte und das Album zurückschickte. Annähernd zwei Drittel waren nicht markiert: Khoja besaß nun ein Verzeichnis jener Juwelen, die unter der Obhut der Polizei verschwunden waren. Doch es gab auch Stücke, die gar nicht erst auf dem Video auftauchten, darunter der Siebzigkaratdiamant.
Khoja ist sicher, daß die drei saudischen Diplomaten ermordet wurden, weil sie im Besitz von Informationen über die Juwelen waren: "Einer hatte seiner Frau erzählt, daß er etwas über die Juwelen wisse, aber sterben müsse, falls er darüber spreche. Ein anderer bemerkte etwas Ähnliches zu seiner Hausangestellten." Und was den Geschäftsmann Mohammed al-Ruwaily angeht, der zwei Wochen später verschwand (einen Monat, bevor die Juwelen nach Saudi-Arabien zurückgingen), so hatte dieser nicht nur in demselben Haus wie die Diplomaten gewohnt, sondern auch mit ihnen über die Sache gesprochen. "Nach meinen Informationen", sagt Khoja, "wurde er entführt, in einem Bauernhof gefoltert, erschossen und verbrannt." 1993 wird der Polizeibeamte Lieutenant-Colonel Somkid Boonthanom verhaftet. Er wird verdächtigt, den Geschäftsmann entführt zu haben. Doch der Staatsanwalt entscheidet, daß für eine Verurteilung die Beweise nicht ausreichen. Boonthanom wird zum Chef der Geheimpolizei in Bangkok ernannt, und der Fall al-Ruwaily löst sich auf in einem Nebel widersprüchlicher Erklärungen hoher Polizeibeamter.
Niemals hat die thailändische Polizei formell zugegeben, daß siebzig Prozent der saudischen Juwelen unter ihrer Obhut veruntreut wurden. Ein Polizeibeamter unterstellte sogar, die saudische Eskorte im Flugzeug habe die Juwelen unterschlagen. Zu den gefälschten Juwelen liegt bislang keine Erklärung vor.
Was ist mit den Pretiosen passiert? Juwelen sind das große Geschäft in Thailand. Abgesehen von den eigenen Rubinvorkommen ist hier der Umschlagplatz für Edelsteine aus Birma und Kambodscha, und die thailändischen Edelsteinsucher schwärmen bis Sri Lanka und Vietnam aus. Unerschrockene dringen sogar über die kambodschanische Grenze bis in die stark verminte und malariaberüchtigte Gegend um Pailin vor, die von den Roten Khmer kontrolliert wird, wo Saphire von höchster Qualität zu finden sind. Außerdem ist Bangkok eines der größten Zentren für Diamantenschliff. Die Thailänder kennen ihre Steine und können nie genug davon bekommen. Diesen Appetit kennt auch die Polizei. Ein Juwelier aus Bangkok schickt seiner Erzählung voraus, es sei nicht sein Leben wert, mit Namen genannt zu werden. Dann berichtet er, in dem Moment, als die saudischen Juwelen in Kriangkrais Dorf ausgegraben wurden, sei auf Polizeiebene so etwas wie eine Kollektivhysterie ausgebrochen. Ein Innenminister, dem die Polizei untersteht, erhielt angeblich seinen Anteil. Die Frau eines Generals soll im eleganten "Royal Bangkok Sports Club" einige Stücke zum Kauf angeboten haben. Armbänder wurden zerlegt, die Steine aus Ringen herausgebrochen und neu gefaßt. Hauptvermittler war dabei, wie es aussieht, Santi Srithanakan, der den An- und Verkauf organisierte.
In der Zwischenzeit gibt es weitere Todesfälle - Anlaß für die Saudis, die Metapher vom "Fluch des blauen Diamanten" zu prägen. Ein mit der Untersuchung des Falles beauftragter Polizeibeamter verunglückt bei einem "Unfall" mit seinem Auto. Mehrere Edelsteinhändler aus Singapur (Khoja nennt sieben), die sich nach den Juwelen umsehen wollten, sind verschwunden. Aber wer steckt wirklich dahinter? Eine der Schlüsselfiguren in dem Skandal ist Chalor Kerdthet, der Polizeibeamte, der Kriangkrai festnahm und die Juwelen zuerst sicherstellte. Kerdthet, der vom einfachen Colonel zum Lieutenant-General aufstieg, hat einen Ruf als "Supercop", als Einzelgänger, der Fälle auf seine eigene Weise löst. Er besitzt zwei Ranches auf dem Lande, wohin er, wie es heißt, Verdächtige zur Befragung bringt. Dort hält er sich in Käfigen Krokodile, Bären und Tiger. Sein Stil - eine Mischung aus Großspurigkeit, Habgier, Betrug und Grausamkeit - steht für die schlimmsten Merkmale, die der thailändischen Polizei zugeschrieben werden.
Außerdem hat er engen Kontakt zu Santi. Doch irgend etwas läuft zwischen den beiden Männern schief: Kerdthet wird jetzt zu dem Verdacht vernommen, die Entführung und Ermordung von Santis Frau und Sohn angeordnet zu haben. Angesichts dieser besonders brutalen Morde ist das Interesse der Öffentlichkeit an dem saudischen Juwelendrama neu erwacht. Fünf subalterne Polizisten und mehrere Zivilpersonen wurden im Zusammenhang mit den Morden festgenommen; alle sagten aus, sie hätten auf Weisung ranghöherer Polizeibeamter gehandelt. Einer beschrieb sehr anschaulich, wie er sein Autoradio aufdrehte, um die Schreie der beiden Opfer zu übertönen, als sie mit der Eisenstange erschlagen wurden. Eine Zeugenaussage, die zeigte, wie lächerlich die Behauptung war, die beiden seien bei einem Autounfall ums Leben gekommen, die der Leiter der gerichtsmedizinischen Abteilung, Thasana Suwanchutha, zwei Wochen lang aufrechterhielt.
Santis Frau und sein Sohn waren vor ihrem Tod über eine Woche lang festgehalten worden; ob die Entführung Santi zum Sprechen oder Schweigen bringen sollte, ist unklar. Eine Theorie besagt, daß zwei Gruppierungen der Polizei hinter Santi her waren: erstens diejenige, die Kerdthet anklagte, er habe Teile der Juwelen unterschlagen, und die von Santi die Namen aller an der Sache Beteiligten hören wollte. Und zum anderen die Gruppe, die die Untersuchung abwürgen wollte. Doch es gibt auch eine einfachere Erklärung: Santi könnte versucht haben, Kerdthet aufs Kreuz zu legen.
Wird die Wahrheit je herauskommen? Warum hat sich die Untersuchung des Falles mehr als vier Jahre hingezogen, in denen sich Bangkoks Ermittlungsbehörden international lächerlich gemacht haben? Jährlich sind dem Land Millionen Dollar entgangen, die früher von den Gastarbeitern aus Saudi-Arabien in die Heimat überwiesen wurden.
Vielleicht ist das wahre Mysterium der Juwelen, daß es für viele Thailänder gar kein Mysterium gibt. Es wird gemunkelt, einer der involvierten Polizeibeamten sei so schlau gewesen, das wertvollste Einzelstück, nämlich den blauen Diamanten, einer so hochgestellten Persönlichkeit zu schenken, daß sich eine Untersuchung oder gar die Enthüllung der Person von selbst verbiete - eine perfekte Absicherung. Khoja meint zu wissen, wer das Siebzigkaratstück hat: "Würde ich diese Person beim Namen nennen, dann würde es Ihnen kalt den Rücken hinunterlaufen."
Inzwischen ist Santi in Polizeigewahrsam, als Kronzeuge, wie es heißt. Informationen hat er bislang so gut wie keine geliefert. Kerdthet und zwei andere hohe Polizeibeamte befinden sich in Untersuchungshaft, entweder wegen Veruntreuung oder wegen Mordes. Kriangkrai, der alles ins Rollen brachte, kam mit königlicher Begnadigung nach zwei Jahren und sieben Monaten Haftstrafe frei. Jetzt lebt er wieder in seinem Heimatdorf.
Mit der Untersuchung des Juwelenskandals betraut ist nun der neue Polizeichef, General Pochana Boonyachinda. Er selbst war im vergangenen Jahr in den Verdacht der Bestechlichkeit geraten.
Die meisten Thailänder glauben, daß Prinz Faisal seine Juwelen nie mehr wiedersehen wird.
link:
"http://www.zeit.de/1995/05/Kein_Diamant_ist_unvergaenglich"]http://www.zeit.de/1995/05/Kein_Diamant_ist_unvergaenglich[/URL]
"http://www.zeit.de/1995/05/Kein_Diamant_ist_unvergaenglich"]
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